Reuters

Tschechien wirft Russland Anschlag auf Munitionsdepot vor

19.04.2021
um 07:12 Uhr

- von Gabrielle Tétrault-Farber und Robert Muller

Prag/Moskau (Reuters) - Ein Eklat in Tschechien verschärft die Spannungen zwischen Russland und dem Westen.

Beide Länder wiesen am Wochenende gegenseitig zahlreiche ihrer Diplomaten aus, nachdem die tschechische Regierung Russland einen Anschlag auf ein Munitionsdepot in dem Nato-Land vorgeworfen hatte. Es handelt sich um den schwersten Konflikt zwischen beiden Staaten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Die USA und andere Nato-Mitglieder stellten sich hinter die Entscheidung ihres Verbündeten.

Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis und der geschäftsführende Außenminister Jan Hamacek sagten am Samstag im Fernsehen, Russland werde verdächtigt, hinter Explosionen in einem tschechischen Munitionslager vor knapp sieben Jahren zu stecken. Deswegen würden 18 Beschäftigte der russischen Botschaft in Prag ausgewiesen, die als Geheimdienstmitarbeiter identifiziert worden seien.

Das russische Außenministerium reagierte am Sonntag mit der Ausweisung 20 tschechischer Diplomaten, wie die Nachrichtenagentur Ria unter Berufung auf das Außenministerium in Moskau berichtete. Das Ministerium erklärte zudem, die "Urheber dieser Provokation" seien dafür verantwortlich, dass "die Grundlagen normaler Beziehungen zwischen unseren Ländern zerstört" würden.

Die tschechische Regierung teilte mit, sie habe die NATO und die Europäische Union (EU) über den Vorgang informiert und der Fall werde beim EU-Außenministertreffen am Montag eine Rolle spielen. Die USA und Großbritannien erklärten, sie stünden fest an der Seite Tschechiens. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte dem US-Sender CBS, die Weltmächte sollten im Umgang mit Russland "klare rote Linien" ziehen und mögliche Sanktionen gegen Moskau in Betracht ziehen, wenn diese überschritten würden.

In dem Munitionsdepot von Vrbetice im Südosten des Landes war es am 16. Oktober 2014 zu schweren Explosionen gekommen. Dabei starben zwei Mitarbeiter eines Privatunternehmens, das die Militäranlage genutzt hatte. Es bestehe der begründete Verdacht, dass Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes GRU in den Vorfall involviert seien, sagte Regierungschef Babis nun. Dies sei "beispiellos und skandalös". Die Spur der Ermittler führe zu einer GRU-Spezialeinheit mit der Nummer 29155.

Tschechische Medien zufolge soll der Anschlag einer damals geplanten Munitionslieferung ins Ausland gegolten haben. Die Wochenpublikation "Respekt" berichtete, ein bulgarischer Zwischenhändler habe damit die Ukraine beliefern wollen, die bereits damals im Kampf mit Russland-treuen Separatisten im Osten des Landes kämpfte. Der Nachrichten-Website "Seznamzpravy.cz" zufolge könnte die Lieferung auch für Rebellen in Syrien bestimmt gewesen sein.

Außenminister Hamacek zog eine Verbindung zu der Vergiftung des russischen Spions Sergej Skripal und dessen Tochter 2018 in Großbritannien. Skripal, der in britische Dienste übergelaufen war, wurde nach britischer Darstellung mit dem russischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet, überlebte aber. Russland wies die Vorwürfe westlicher Staaten zurück, es stecke hinter dem Anschlag.

Die tschechische Polizei erklärte am Samstag, sie fahnde nach zwei Männern, deren Pässe auf die Namen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow lauteten. Britische Behörden hatten seinerzeit erklärt, dies seien die Decknamen zweier russischer Geheimdienstmitarbeiter, die für den versuchten Mord an Skripal verantwortlich seien. Die tschechische Polizei teilte am Samstag mit, diese beiden Männer würden im Zusammenhang mit den Explosionen in dem Munitionsdepot gesucht.

In den vergangenen Monaten haben sich die Beziehungen zwischen Russland und westlichen Ländern zusehends verschlechtert. Anlässe waren unter anderem die Vergiftung und spätere Verhaftung des russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny in seiner Heimat und der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine.

Zurzeit wird in Tschechien darüber diskutiert, ob Russland aus Sicherheitsgründen von der Milliarden-Finanzierung eines neuen Atomkraftwerks ausgeschlossen werden soll. Der neue Vorfall könnte diese Diskussion beeinflussen, sagte Industrieminister Karel Havlicek.