Reuters

Grüne wollen Klimaschutz-Ministerium mit Veto-Recht

03.08.2021
um 14:27 Uhr

- von Holger Hansen und Christian Krämer

Biesenthal/Berlin (Reuters) - Die Grünen wollen nach der Bundestagswahl ein Ministerium für Klimaschutz mit einem Veto-Recht gegenüber anderen Ministerien schaffen.

Dies schlugen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Co-Parteichef Robert Habeck in einem Klimaschutz-Sofortprogramm vor, das sie am Dienstag vorstellten. "Wir stehen vor einer Weichenstellung", sagte Baerbock vor Journalisten in einem Naturschutzgebiet in Brandenburg nördlich von Berlin. Sonst werde es irgendwann zu spät sein. "Die Klimakrise ist nichts Abstraktes, sondern sie passiert mitten unter uns." Baerbock verwies auf die jüngste Flutkatastrophe im Westen Deutschlands.

Den Klimaschutz bezeichnete die Grünen-Führung als Jahrhundertaufgabe. Sie warf der großen Koalition und vor allem der Union vor, hier zu wenig Tempo zu machen. "Ziele ohne Maßnahmen sind brotlose Kunst", sagte Habeck. Es gebe einen immensen Zeitdruck, trotzdem scheue die jetzige Regierung konkrete Maßnahmen. Dies zu ändern, werde auch Geld kosten.

Die Grünen setzen sich in ihrem Wahlprogramm für zusätzliche Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro bis 2030 ein, die über neue Schulden finanziert werden sollen. Bis zu zwei Drittel davon hätten einen unmittelbaren Bezug zum Klimaschutz, so Habeck. Die Kosten für den Umbau hin zu einer klimaneutralen Industrie schätze die Wirtschaft selbst auf rund zwei Billionen Euro. 15 Prozent davon müssten aus Sicht der Industrie staatlich abgesichert werden, etwa über Zuschüsse oder Bürgschaften.

Mit dem sieben Seiten starken Sofortprogramm wollen die Grünen im Wahlkampf wieder in die Offensive kommen. Vergangene Woche wurde bereits ein Klimavorsorgefonds ins Spiel gebracht - mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro. Der Wahlkampf wurde zuletzt aber immer wieder von Patzern Baerbocks überschattet. In Umfragen liegen die kurzzeitig führenden Grünen wieder deutlich hinter der Union. Habeck sagte, das Klima zwischen den beiden Führungsfiguren der Partei sei bestens, es sei keine Aussprache mit Baerbock nötig.

TASK-FORCE STATT KLIMAKABINETT

Laut Sofortprogramm soll das neue Klimaschutzministerium sicherstellen, dass kein Gesetzesvorhaben dem Ziel zuwiderläuft, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Es hätte zudem die Federführung für eine Klima-Task-Force, die in den ersten 100 Tagen einer neuen Regierung im Wochenrhythmus tagen soll, um die Abstimmung in der Regierung zu beschleunigen. "Wir werden im Kabinett das größte Klimaschutzpaket beschließen, das es jemals gegeben hat." Baerbock ergänzte, das Klimakabinett der jetzigen Regierung sei eine Alibi-Veranstaltung gewesen. Die Ministerien hätten sich immer wieder gegenseitig blockiert.

Das 100-Tage-Programm spiegelt Kernaussagen des Grünen-Wahlprogramms wider. Den für 2038 vereinbarten Ausstieg aus der Kohleverstromung wollen die Grünen auf 2030 vorziehen. Der Ausbau Erneuerbarer Energie soll beschleunigt werden. "Im aktuellen Tempo bräuchte Deutschland noch 56 Jahre, um auf 100 Prozent Ökostrom zu kommen", heißt es im Papier. "Diese Zeit haben wir nicht." Bei der Solarenergie sollen die Ausbauziele für 2022 auf zwölf Gigawatt pro Jahr steigen, bei Wind an Land auf sechs Gigawatt pro Jahr. Zwei Prozent der Landesfläche sollen für Windkraft zur Verfügung stehen.

Klimaschutz soll sozial gerecht gestaltet werden. Der CO2-Preis bei Wärme und Verkehr soll auf 60 Euro im Jahr 2023 steigen. Die Einnahmen würden über ein Energiegeld und eine Absenkung des Strompreisaufschlages für Erneuerbare Energien an die Bürger zurückgegeben. Wirtschaft und Industrie wollen die Grünen "zusätzliche Ökostrom-Produktion ermöglichen". Mit sogenannten Klimaschutzverträgen wollen sie klimafreundliche Investitionen anreizen und absichern. Den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur zur Belieferung von Industrieclustern soll der Staat vorfinanzieren. Für Klima-Investitionen sollen zudem Steuervorteile gelten. Im Bundeshaushalt sollen die Investitionen in Klimaschutz um 15 Milliarden Euro zusätzlich erhöht werden. Ein Einstieg in den "Abbau der umweltschädlichen Subventionen" soll Einsparungen von zunächst zehn Milliarden Euro ermöglichen.