Reuters

Studie - Gas-Netz von 500.000 Kilometern fast komplett stilllegen

18.04.2023
um 15:07 Uhr

Berlin (Reuters) - Mehr als 90 Prozent des deutschen Gas-Verteilnetzes von über 500.000 Kilometern müssen einer Studie zufolge in den nächsten 20 Jahren stillgelegt werden.

Im Zuge des Umbaus des Heizungssystems vor allem auf Wärmepumpen sei der Großteil des Netzes überflüssig, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Untersuchung der Denkfabrik Agora mit Beteiligung von Gasnetz-Betreibern. Danach wird das übrige Netz ab 2045 noch in erster Linie für die Wasserstoff-Versorgung für Kraftwerke und die Industrie gebraucht. Wohnungen und Häuser in Ballungsgebieten könnten noch an Fernwärme angeschlossen bleiben. Wasserstoff und auch Biogas würden aber bei Heizungen keine Rolle spielen. Agora legte eine Reihe von Vorschlägen vor, wie das derzeitige Netz im Wert von 60 Milliarden Euro - überwiegend im kommunalen Besitz - möglichst kostengünstig stillgelegt werden kann.

Da Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will, dürfen Öl- und auch Gas-Heizungen dann keine Rolle mehr spielen. Die Regierung will am Mittwoch das umstrittene Gebäudeenergie-Gesetz beschließen, wonach neue Heizungen in der Regel mit zumindest 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. In erster Linie setzt die Regierung auf Wärmepumpen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Auch Holzpellets oder Biomasse können eine Rolle spielen. Zudem sollen die Kommunen über eine Wärmeplanung klarstellen, wo Gebäude an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden können. Dabei wird Abwärme aus Kraftwerken oder Industrie-Anlagen genutzt.

Dies erfordert aber drastische Einschnitte beim Netz. "So wie es aktuell ist, kann es nicht weitergehen", sagte Agora-Chef Simon Müller. Es habe 2021 noch Rekordinvestitionen von über einer Milliarden Euro ins Netz gegeben, die sich nicht rechnen könnten. Ohne eine geordnete Stilllegung drohten bis 2044 gestrandete Vermögenswerte von bis zu zehn Milliarden Euro und eine Versechzehnfachung der Netzentgelte. Diese machen derzeit etwa 20 Prozent der Gastarife aus, vor dem Preissprung durch die Energiekrise waren es laut Agora sogar die Hälfte. Da immer mehr Kunden in den nächsten Jahren Wärmepumpen nutzen, müssen die Unterhaltskosten für das Netz von immer weniger Haushalten getragen werden.

Zur Kostenentlastung von Netzbetreibern und Kunden soll der Agora zufolge so etwa die Pflicht zum Ausgraben ungenutzter Leitungen entfallen. Ferner müssten die Netze schneller abgeschrieben werden können, was Steuervorteile für die Besitzer hat. Vor allem müsse es aber eine verbindliche Planung geben, wann und wo Netze noch benötigt und welche wann stillgelegt würden. Mit einem Bonus-System könnten die koordinierte Stilllegung gefördert und so bis zu fünf Milliarden Euro jährlich an Betriebskosten gespart werden.

(Bericht von: Markus Wacket; redigiert von Christian Rüttger Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)