Reuters

Aufträge deutscher Industrie brechen ein - "Echtes Rezessionssignal"

05.05.2023
um 11:27 Uhr

- von Klaus Lauer

Berlin (Reuters) - Das Neugeschäft der deutschen Industrie ist so stark eingebrochen wie seit der Hochphase der Corona-Krise vor drei Jahren nicht mehr und signalisiert trübe Aussichten für die Konjunktur.

Die Aufträge sanken im März um 10,7 Prozent zum Vormonat und damit so kräftig wie seit Anfang der Pandemie im April 2020 nicht mehr, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Ökonomen hatten nur mit einem Rückgang um 2,2 Prozent gerechnet. "Diese Zahl macht den an sich guten Start der deutschen Industrie ins Jahr komplett zunichte und ist ein echtes Rezessionssignal", sagte LBBW-Volkswirt Jens-Oliver Niklasch. "Das Ergebnis ist schlicht und ergreifend ein Desaster", betonte auch Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.

Die deutsche Wirtschaft war Ende 2022 wegen der Belastungen durch Inflation und Energiekrise um 0,5 Prozent geschrumpft. Zwischen Januar und März stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dadurch schrammte die Wirtschaft knapp an einer technischen Rezession vorbei. Davon sprechen Fachleute nämlich, wenn das BIP zwei Quartale in Folge schrumpft. Eigentlich hatten Ökonomen, Bank-Analysten und Regierung zuletzt ihre Konjunkturprognosen für 2023 erhöht und auf leichtes Wachstum gesetzt. Nach den überraschend mauen Auftragsdaten sagte LBBW-Experte Niklasch nun: "Wenn es nicht noch eine nachgelagerte Erklärung der Statistiker gibt, wird man die Konjunkturuhren heute neu stellen müssen." Die Daten seien "ein Blitz aus heiterem Himmel".

"HOFFNUNG AUF BEVORSTEHENDEN AUFSCHWUNG ERFÜLLT SICH NICHT"

Jörg Angele vom Vermögensverwalter Bantleon geht nun davon aus, dass die Wirtschaft im laufenden Frühjahrsquartal ähnlich stark schrumpft wie Ende 2022. "Deutschland steckt mithin in einer Rezession." Auch im Gesamtjahr 2023 dürfte das BIP "erkennbar" sinken, warnte Angele. "Die Hoffnungen auf einen bevorstehenden Aufschwung werden sich nicht erfüllen." 

Das Niveau der Industrieaufträge fiel im März auf den tiefsten Stand seit Juli 2020. "Das ist ein Warnsignal für die konjunkturelle Entwicklung", erklärte Konjunkturexperte Jupp Zenzen von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). "Breite Nachfrageimpulse sind in der Industrie derzeit nicht in Sicht." Die Weltkonjunktur laufe eher schleppend. Die deutschen Exporteure erlitten im März ebenfalls einen Rückschlag.

AUSLANDSAUFTRÄGE STÜRZEN AB

Im Februar hatte es für die deutsche Industrie mit 4,5 Prozent noch das stärkste Auftragsplus seit Mitte 2021 gegeben. Die Bestellungen aus dem Inland sanken dann aber im März um 6,8 Prozent zum Vormonat, während die Auslandsnachfrage um 13,3 Prozent einbrach. Im Geschäft mit Staaten außerhalb der Euro-Zone ging es fast 15 Prozent bergab. "Nach drei Anstiegen in Folge sind die Auftragseingänge im März förmlich eingebrochen", kommentierte Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. "Die Aufträge haben damit ihren Abwärtstrend wieder aufgenommen." Auch Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank zeigte sich pessimistisch: "Die Auftragseingänge waren und sind schwach - mehr noch: Da braut sich etwas zusammen." Denn Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Fed "heben die Zinsen weiter an und die Banken ziehen die Daumenschreiben bei der Kreditvergabe an".

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht dennoch Signale für eine allmähliche Besserung. "Nach dem schwachen Schlussquartal 2022 und dem volatilen Auftakt 2023 ist für den weiteren Jahresverlauf weiterhin eine konjunkturelle Erholung zu erwarten." Zudem hätte es bei den Aufträgen im Durchschnitt des ersten Vierteljahres 2023 ein leichtes Plus von 0,1 Prozent zum Vorquartal gegeben. Ohne Großaufträge wäre das Auftragsminus allein im März insgesamt mit 7,7 Prozent geringer ausgefallen.

Die Stimmung der Chemiebranche in Deutschland hellt sich laut Umfrage des Ifo-Instituts derzeit auf - aber vor allem dank der besten Aussichten auf künftige Geschäfte seit Ende 2021. "Die aktuelle Auftragslage in der Chemie ist allerdings nach wie vor schwach", sagte Ifo-Branchenexpertin Anna Wolf. Aufwind spüren derzeit auch die Dienstleister. Die Service-Branche steigerte ihren Umsatz im Februar real, also preisbereinigt, um 0,9 Prozent zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.

(Bericht von Klaus Lauer, Mitarbeit: Reinhard Becker, redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)