Reuters

Wagner-Chef kündigt Rückzug aus Bachmut an - Streit mit Militärführung

05.05.2023
um 11:42 Uhr

(Reuters) - Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat überraschend einen Rückzug seiner Söldner-Truppe aus der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut im Osten der Ukraine angekündigt und damit den Streit mit der russischen Militärführung verschärft.

Grund seien hohe Verluste und ein Mangel an Munition, woran das Moskauer Verteidigungsministerium Schuld sei, teilte Prigoschin am Freitag mit. Seine Söldner-Truppe werde sich deswegen am 10. Mai in Nachschublager zurückziehen und ihre Stellungen an die russische Armee übergeben müssen. Damit verschärfte Prigoschin den seit Monaten schwelenden Konflikt mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und der Militärspitze erneut. Die Wagner-Söldner führen die für beide Kriegsseiten verlustreichen Angriffe auf Bachmut an, das für Russland nach mehreren Rückschlägen ein strategisch wichtiges Ziel ist.

"Ich ziehe die Wagner-Einheiten aus Bachmut ab, denn ohne Munition sind sie dem sinnlosen Tod geweiht", erklärte Prigoschin. Erst vor drei Wochen hatte er erklärt, dass seine Truppen rund 80 Prozent von Bachmut unter Kontrolle hätten. Nun will er offenbar seine Söldner nur einen Tag nach den Feiern zum Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland am 9. Mai zurückziehen, der traditionell in der russischen Hauptstadt mit einer prestigeträchtigen Militärparade begangen wird. Es war aber zunächst unklar, ob man Prigoschins Erklärung für bare Münze nehmen kann, da er in der Vergangenheit häufig impulsive Kommentare abgegeben hat. Erst vorige Woche nahm er eine Aussage als "Scherz" zurück.

Zugleich attackierte Prigoschin die Militärführung in Moskau in einem radikalen Video erneut scharf. In der von seiner Presseabteilung veröffentlichten Aufzeichnung stand er inmitten blutüberströmter Leichen, beschimpfte Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Er warf beiden wieder vor, seine Kämpfer nicht ausreichend mit Munition zu versorgen und machte sie persönlich für die hohen Verluste seiner Söldner-Truppe verantwortlich. Der Kampf um Bachmut hat sich zu längsten und verlustreichsten Schlacht des Krieges entwickelt.

"Wir haben einen Munitionsmangel von 70 Prozent. Schoigu! Gerassimow! Wo ist die ******* Munition?", schrie Prigoschin in die Kamera. Die Verantwortlichen sollten zur Hölle fahren, rief er. Die Verluste der Wagner-Gruppe wären fünfmal geringer, wenn sie angemessen versorgt würden. "Das sind Wagner-Jungs, die heute gestorben sind. Das Blut ist noch frisch", sagte Prigoschin und deutete auf die Leichen um ihn herum. "Sie kamen als Freiwillige hierher und sterben, damit ihr in euren Büros fett werden könnt." Prigoschin hat wiederholt Schoigu und der Militärführung öffentlich Inkompetenz vorgeworfen und dass seiner Wagner-Gruppe aus persönlicher Abneigung gegen ihn absichtlich Munition vorenthalten werde. Zuletzt hatte er aber von öffentlichen Angriffen gegen Schoigu abgesehen.

LAWROW - WERDEN AUF DROHNENANGRIFF AUF KREML REAGIEREN

Im Zusammenhang mit dem Drohnenangriff auf den Kreml, zu dem es nach russischen Angaben am Mittwoch gekommen sein soll, drohte Außenminister Sergej Lawrow mit Vergeltung. "Es war eindeutig ein feindlicher Akt, und es ist klar, dass die Kiewer Terroristen ihn nicht ohne das Wissen ihrer Herren begangen haben können", sagte Lawrow auf einer Pressekonferenz in Indien. "Wir werden nicht mit Reden über 'casus belli' oder nicht, sondern mit konkreten Taten reagieren". "Casus belli" ist ein lateinischer Begriff für eine Handlung, die einen Krieg rechtfertigt. Auch 15 Monate nach dem Einmarsch in der Ukraine spricht Russland weiterhin nicht von einem Krieg sondern einer militärischen Spezialoperation.

Das Präsidialamt in Moskau erklärte, der russische Sicherheitsrat werde sich voraussichtlich noch am Freitag mit dem Vorfall befassen. Russland hat die Ukraine beschuldigt, mit einem Drohnenangriff auf den Kreml ein Attentat auf Präsident Wladimir Putin versucht zu haben. Die Ukraine hat das zurückgewiesen. Die USA hatten russische Vorwürfe hinter dem Angriff zu stecken, als Lüge bezeichnet.

In Südrussland wurde Medienberichten zufolge eine Raffinerie nahe dem Schwarzmeer-Hafen Noworossijsk erneut Ziel eines Drohnenangriffs. In der betroffenen Ölraffinerie Ilski sei dabei wieder ein Brand ausgebrochen, meldete die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Rettungsdienste. In der Raffinerie war erst in der Nacht zu Donnerstag nach einem Drohnenangriff ein Feuer ausgebrochen. Es war zunächst unklar, wer hinter dem Vorfall steckte. Die Ukraine bekennt sich nur selten zu den nach russischer Darstellung zuletzt verstärkten Angriffen auf Infrastruktur und militärische Ziele in russischen Grenzregionen und von Russland besetzten Gebieten. Sie hat allerdings eingeräumt, dass Angriffe auf Nachschub-Wege und militärische Logistik Teil der Vorbereitungen für eine seit langem erwartete Gegenoffensive seien. Zuletzt kam es häufiger zu Angriffen auf Treibstofflager und Güterzüge.

(Bericht von Felix Light and Caleb Davis, bearbeitet von Christian Götz, redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)