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IWF traut Deutschland auf Jahre nur geringe Wachstumsraten zu

16.05.2023
um 16:42 Uhr

Berlin (Reuters) - Der Internationale Währungsfonds (IWF) traut Deutschland nur vergleichsweise geringe Wachstumsraten zu.

In diesem Jahr dürfte die Wirtschaft in etwa stagnieren, von 2024 bis 2026 dann um jeweils ein bis zwei Prozent zulegen, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten IWF-Analyse zu den ökonomischen Perspektiven der weltweit viertgrößten Volkswirtschaft. Langfristig dürfte das durchschnittliche Wachstum in Deutschland wieder unter einem Prozent liegen. Die alternde Bevölkerung, fehlende Produktionszuwächse und Engpässe auf dem Arbeitsmarkt würden sich negativ bemerkbar machen. Kurzfristig belasten vor allem die hohen Energiepreise viele Unternehmen.

"Die Unsicherheit ist groß", so die IWF-Experten, die hierzulande in der ersten Mai-Hälfte Informationen von Ministerien, der Bundesbank, Unternehmen und Gewerkschaften gesammelt haben. Die Inflation werde hoch bleiben, aber zumindest zurückgehen. Sie zu senken, müsse eine Priorität bleiben. Ende des Jahres wird mit einer Teuerungsrate von rund 4,5 Prozent gerechnet, nachdem es im April 7,6 Prozent waren. Die sogenannte Kerninflation ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise werde wahrscheinlich später und langsamer zurückgehen.

Die Finanzpolitik müsse dieses Jahr zurückhaltend sein, um die Inflation nicht noch anzuheizen, so der IWF - genau wie es Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner zuletzt immer wieder vertreten hat. Die Hilfsmaßnahmen zur Abfederung der hohen Energiepreise könnten laut IWF zielgenauer ärmeren Bevölkerungsschichten zugutekommen.

ENERGIE-SOLI UND REFORM DER SCHULDENBREMSE EMPFOHLEN

Der in Washington ansässige Währungsfonds betonte zugleich, Deutschland habe sich als widerstandsfähig erwiesen und sei bisher gut durch die Energiekrise gekommen, nachdem Russland seine Gaslieferungen eingestellt hat. Die Politik habe die richtigen Antworten gegeben. Geholfen habe auch, dass der Winter milde ausgefallen sei. Die Energiepreise sollten für Verbraucher weiter zurückgehen, sagte IWF-Experte Kevin Fletcher, der die Analysemission geleitet hat. Das Preisniveau insgesamt werde aber auch in Zukunft oberhalb des Niveaus liegen, das vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 üblich gewesen sei. Darauf müssten sich Unternehmen einstellen.

Die Regierung könnte einen Energie-Soli bei reicheren Bevölkerungsschichten einsammeln, schlugen die IWF-Experten vor. Für diese Idee haben sich innerhalb der Ampel-Koalition bereits Politiker der SPD und Grünen starkgemacht. Lindner lehnt dies aber strikt ab. Der IWF plädierte auch für eine Reform der Schuldenbremse, was Lindner ebenfalls verhindern will. Laut IWF hat Deutschland ausreichend finanzielle Möglichkeiten, um den Wandel hin zu mehr Digitalisierung und klimaneutralen Prozessen zu finanzieren, die Schuldenbremse schränke die Optionen aber ein und sorge für intransparente Schattenhaushalte wie die Sondertöpfe zur Modernisierung der Bundeswehr oder den Klimafonds. Deutschland müsste seine Ausgaben strukturell überarbeiten, neue Einnahmequellen schaffen oder klimaschädliche Subventionen streichen.

Lindner fühlte sich bestätigt, einen zurückhaltenden Kurs in der Finanzpolitik zu fahren. "Die angeregte Lockerung der Schuldenbremse ist aber keine Option." Höhere Schulden oder Steuererhöhungen würden nicht notwendigerweise in Investitionen oder Zukunftsaufgaben fließen. "Deutschlands Herausforderung liegt eher in der besseren und schnelleren Nutzung vorhandener Möglichkeiten, da Investitionsmittel im Staatshaushalt zu oft nicht abgerufen werden." Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse habe sich bewährt und sei ein Garant für das Vertrauen in die Stabilität deutscher Staatsfinanzen. "Nach einem krisenbedingt starken Anstieg der Schuldenstandsquote müssen die fiskalischen Puffer schnell wieder aufgebaut werden."

(Bericht von Christian Krämer; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)