Reuters

Siemens baut auf Auftragsbestand und Megatrends

17.05.2023
um 11:57 Uhr

- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Siemens bekommt die schwächere Konjunktur bisher kaum zu spüren.

Der Münchner Technologiekonzern kann zurzeit noch auf einen Rekord-Auftragsbestand von 105 Milliarden Euro bauen, der den Umsatz bis ins nächste Geschäftsjahr hinein absichert. Dabei dürften sich die Bestellungen in den nächsten Monaten normalisieren, weil die Angst der Kunden vor Lieferengpässen schwindet, wie Vorstandschef Roland Busch am Mittwoch zur Vorlage der Quartalsbilanz erläuterte. Die Nachfrage nach Investitionsgütern, wie sie Siemens produziert, sei aber robust. Die Kern-Sparten produzierten im zweiten Quartal (per Ende März) Rekordergebnisse. Stornierungen gebe es sehr wenige. "Das heißt, dass wir trotz des volatilen Umfelds für die zweite Hälfte des Geschäftsjahres sehr zuversichtlich sind", sagte Busch.

Deshalb schraubte der Vorstand die Umsatz- und Gewinnerwartungen für 2022/23 (per Ende September) zum zweiten Mal nach oben. Er geht nun von einem Umsatzzuwachs auf vergleichbarer Basis von neun bis elf (bisher: sieben bis zehn) Prozent aus. Dabei bleibt die Automatisierungs-Sparte Digital Industries der stärkste Treiber des Wachstums. Die größten Fortschritte traut Busch inzwischen aber der Gebäude- und Elektrotechnik-Sparte Smart Infrastructure zu. Allein in den Monaten von Januar bis März stieg der Umsatz um 15 Prozent auf 19,4 Milliarden Euro. Im gleichen Maße legten die Aufträge zu, auf 23,6 Millionen Euro, und überwanden damit die kleine Delle zum Jahresende.

Das Ergebnis je Aktie aus dem laufenden Geschäft soll im Gesamtjahr auf 9,60 bis 9,90 (bisher 8,90 bis 9,40) Euro steigen. Das sind mindestens 50 Cent mehr als Analysten zuletzt erwartet hatten. Das trieb die Siemens-Aktie am Mittwoch um bis zu drei Prozent auf 153,36 Euro, den höchsten Stand seit eineinhalb Jahren. Die Titel waren damit der größte Gewinner im Dax. Die höhere Prognose deute auf ein starkes zweites Halbjahr hin, schrieben die Analysten von Jefferies.

SIEMENS WILL BEI SIEMENS ENERGY KOMPLETT RAUS

Zum erwarteten operativen Gewinn hinzu kommen 2,01 Euro je Aktie - insgesamt 1,6 Milliarden Euro - aus der Kurserholung der früheren Energietechnik-Tochter Siemens Energy, an der Siemens noch 32 Prozent hält. Der Buchgewinn verhalf Siemens im zweiten Quartal zu einem nahezu verdreifachten Nettoergebnis von 3,55 (Vorjahr: 1,21) Milliarden Euro. Das Ergebnis aus dem industriellen Geschäft stieg um 47 Prozent auf 2,61 Milliarden Euro, verfehlte damit aber die Erwartungen der Analysten knapp.

An dem Ziel, bei Siemens Energy komplett auszusteigen, hält Finanzvorstand Ralf Thomas trotzdem fest. "Aber das wird ein bisschen dauern." Über die nächsten Schritte werde er wohl im November mehr sagen können, erklärte Thomas. Denkbar sei ein schrittweiser Abverkauf der Aktien, die zurzeit mehr als sechs Milliarden Euro wert sind.

Vorstandschef Busch setzt darauf, dass die Megatrends wie Fachkräftemangel und Energieeffizienz Siemens auch langfristig in die Hände spielen. Die für den Konzern relevanten Märkte dürften bis 2027 um sieben Prozent pro Jahr wachsen. Das wären unter dem Strich 175 Milliarden Euro mehr. Und Siemens wolle dabei noch stärker zulegen: "Wir geben unser Ziel nicht auf, Marktanteile zu gewinnen", sagte Busch vor Analysten. Neue Fabriken - also ein Wachstum aus eigener Kraft - und kleinere Übernahmen, die das Portfolio ergänzten, stünden im Vordergrund. Siemens schließe aber auch größere Zukäufe nicht aus. "Es muss halt passen", sagte Busch.

DIGITAL INDUSTRIES MACHT HÄLFTE DES KONZERN-GEWINNS

Smart Infrastructure und die Zug-Sparte Mobility bauen ihre Kapazitäten in Europa und den USA aus. "Wenn sich Marktchancen ergeben, erwägen wir, weitergehende Expansionsschritte anzugehen", sagte der Vorstandschef. Bei Mobility hat sich der Auftragseingang im zweiten Quartal dank eines 2,9 Milliarden Euro schweren Lok-Auftrags aus Indien mehr als verdoppelt, die Umsätze schnellten in allen drei Sparten jeweils um mehr als 20 Prozent nach oben. Damit machten sie auch die Schwäche der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers wett, die sowohl im Diagnostik-Geschäft als auch bei OP-Robotern im Umbau steckt.

Die Hälfte des operativen Gewinns ging mit 1,3 Milliarden Euro auf das Konto der Industrieautomatisierungs-Sparte Digital Industries. Ihr Auftragseingang schwächelte mit einem Minus von zehn Prozent. Die Umstellung von Lizenzen auf ein Abo-Modell bei Software geht aber reibungsloser als befürchtet. Der Umsatz soll 2022/23 um bis zu 20 (bisher bis 15) Prozent steigen, bei einer Marge von 22,5 bis 23,5 Prozent. Bei Smart Infrastructure stieg das Ergebnis sogar um 75 Prozent auf 779 Millionen Euro. Für die Sparte schraubte Siemens die Wachstumserwartungen auf 14 bis 16 (vorher neun bis zwölf) Prozent nach oben.

(Bericht von Alexander Hübner; Mitarbeit: John Revill in Zürich; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)