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Deutschland und Japan - Selbsternannte G7-Sachwalter für den Süden

19.05.2023
um 12:32 Uhr

- von Andreas Rinke und Sakura Murakami

Hiroshima (Reuters) - Es wirkt wie eine Allianz der Zukurz-Gekommenen: Jedenfalls treten Kanzler Olaf Scholz und Japans Ministerpräsident Fumio Kishida bei G7 immer mehr als Sachwalter der Interessen des Südens auf.

Schon wenige Tage vor Beginn des Treffens im japanischen Hiroshima hatte Scholz seinen Partnern ins Stammbuch geschrieben, dass man sich "westlichen Doppelstandards" nicht mehr leisten könne. Ohne dass Scholz die Namen der Länder ausspricht, zielt dies etwa auf die USA: Denn eine Reform des UN-Sicherheitsrates, der immer noch die Struktur am Ende des Zweiten Weltkriegs abbildet, scheitert sowohl an den Vetomächten China und Russland, aber eben auch den Vereinigten Staaten.

Auf der anderen Seite gibt es seit Jahrzehnten eine Interessenübereinstimmung der Wirtschaftsnationen Deutschland und Japan mit den großen Schwellenländern Brasilien und Indien: Alle vier fordern endlich eine ihrem Status angemessene Vertretung etwa im UN-Sicherheitsrat. Und mit Südafrika, Nigeria oder Indonesien klopfen längst die nächsten wachsenden Staaten an die Tür des obersten UN-Gremium - ohne dass die fünf Veto-Mächte im Sicherheitsrat sich irgendwie bewegen.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Druck enorm gestiegen: Gerade Scholz und Kishida versuchen nun viel stärker als andere G7-Regierungschefs, die Interessen des sogenannten globalen Südens einzubinden - unter anderem, um zu verhindern, dass die Schwellenländer ins Lager Russlands und Chinas abdriften. Man müsse sich nicht wundern, wenn sich diese Staaten nicht westlichen Forderungen nach einer Positionierung gegen Russland anschlössen, wenn man ihnen gleichzeitig keine Kontakte auf Augenhöhe anbiete, warnt Scholz.

Russland und China schlachten dies seit Monaten genüsslich aus. In vielen Entwicklungsländern gibt es zu diesen Staaten traditionell enge Kontakte aus der Zeit des Kampfes gegen Kolonialmächte wie Großbritannien oder Frankreich. Auch Scholz warnt, dass diese völlig unterschätzen, wie stark die schmerzlichen Erfahrungen der Kolonialvergangenheit auf der Südhalbkugel noch sind. "Wir müssen uns den Forderungen stellen, wenn wir die Mächte in Asien, Afrika und Amerika dazu ermutigen wollen, gemeinsam mit uns eine stabile Weltordnung aufzubauen und zu verteidigen", mahnt der Kanzler deshalb. "Ein Teil der Doppelmoral hat mit der Tatsache zu tun, dass der Westen oft bereit ist, Forderungen an die Entwicklungsländer zu stellen, sich aber weigert, ihnen den gleichen Status zu geben oder ihre Forderungen anzuhören", kritisiert auch Amrita Narlikar, Chefin des Hamburger Thinktanks Giga. "Die Reform der internationalen Institutionen ist ein wesentlicher Bestandteil der Lösung dieses Problems der Doppelmoral."

Um zumindest mehr Aufmerksamkeit zu zeigen, reiste der Kanzler in seiner noch kurzen Amtszeit bereits zweimal nach Afrika. Außerdem lud er zum G7-Gipfel in Elmau sogenannte Outreach-Länder wie Indien, Südafrika, Indonesien oder Argentinien ein. Kishida macht dies ähnlich: Auch er reist mittlerweile häufig in Schwellenländer und will in Hiroshima am Samstag Gaststaaten wie Indien gleich in drei Sessions der G7-Chefs mit dazu holen.

Denn Japans Ministerpräsident sieht sich ebenfalls als Brückenbauer. "Viele Länder des sogenannten Globalen Südens sind verletzt und leiden unter den hohen Lebensmittel- und Energiepreisen", sagte er während eines Besuchs in Mosambiks Hauptstadt Maputo Anfang Mai. Auch er warb gleichzeitig um Verständnis und Solidarität. Bedingt durch die geografische Lage schaut Kishida dabei aber mehr auf mögliche Verbündete gegen China. Anfang 2023 kündigte Tokio eine neue Sicherheitshilfe an, um Staaten zunächst in Südostasien militärische Ausrüstung bereitzustellen. Tatsächlich sehe die australische Regierung Japan in einer Vermittlungsrolle auch mit den Pazifik-Staaten, weil es anders als die USA oder Australien die manchmal schwierige Menschenrechtslage auf den Inseln nicht kritisiert habe, sagt eine japanische Regierungsquelle.

Allerdings glauben nicht alle, dass die "Umarmung" Berlins und Tokios schon ausreicht. "Mehr Raum für die Partnerländer auf dem G7-Gipfel ist nicht mehr als ein Anfang", mahnt etwa Jörn Kalinksi von der Nichtregierungsorganisation Oxfam. Deutschland werde aus eigenem Verschulden nicht als so positiv wahrgenommen wie es das die Bundesregierung gerne hätte. "In der Vergangenheit wurden wichtige Chancen verpasst: Eine der größten war die strikte Weigerung Deutschlands, sich für eine zeitweise Aussetzung der Patentrechte zur Produktion von Covid-19-Medikamenten einzusetzen", sagte er zu Reuters.

Auch Giga-Chefin Narlikar ist kritisch: Dass Deutschland wegen der länger zurückliegenden Kolonialzeit vertrauenswürdiger sei, glaubt sie ohnehin nicht. Und auch die Bundesregierung habe seine Doppelmoral: "Wenn ein großer Markt wie China die Regeln bricht oder beugt, hat Deutschland in der Praxis kein großes Problem damit. Aber Deutschland ist bereit, mit dem Finger zu zeigen, wenn es um weniger mächtige Länder geht." Das sei keine gute Botschaft an die Entwicklungsländer, bemängelt sie.

Natürlich müsse die Reform der internationalen Institutionen auf jeden Fall auf die Tagesordnung von G7 und G20 kommen, meint sie. "Aber es wird nicht leicht sein, Unterstützung dafür zu finden - vor allem bei den fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat."

(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)