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Nach Island nun Moldau - Europas Regierungschefs im Gipfelfieber

01.06.2023
um 11:32 Uhr

(Entfernt im Hintergrund vom Mittwoch im ersten Absatz den Bezug zu Chisinau. Der Gipfel findet in Bulboaca, nicht in der Hauptstadt Chisinau statt.)

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Wenn sich am Donnerstag voraussichtlich 47 europäische Staats- und Regierungschefs in Moldau treffen, haben sie deshalb auch den Krieg im Nachbarland Ukraine im Blick.

Das informelle Treffen der noch jungen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) soll nach Angaben von EU-Diplomaten ein Zeichen der Solidarität in das Nachbarland schicken - möglicherweise wird auch Präsident Wolodymyr Selenskyj in der ein oder anderen Form an dem Treffen teilnehmen. Der EPG-Gipfel soll zumindest aus Sicht der großen EU-Staaten gleichzeitig zeigen, dass man Moldau auf dem Weg in die Europäische Union unterstützen will.

Wie schon das Treffen des Europarates auf Island Mitte Mai dient die Zusammenkunft zudem dem Austausch vor allem der 27 EU-Staaten mit den Regierungen, die nicht in der Union sind. Deshalb hatte etwa der britische Premierminister Rishi Sunak schon das Treffen auf Island geschätzt. Denn vielen Nicht-EU-Mitgliedern fehle eine Plattform, auf der sie auf höchster Regierungsebene europäische Themen ansprechen können, heißt es bei EU-Diplomaten. Der Druck dazu ist vor allem durch den russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 gewachsen: Denn er hat eine Fülle von Folgewirkungen ausgelöst, die fast alle Europäer betreffen - von Sicherheits-, Migrations- bis zu Energiefragen.

Die Zusammenballung der Spitzentreffen - Ende Juni folgt dann der EU-Gipfel, im Juli der Nato-Gipfel - zeigt auch nach Ansicht von Kanzler Olaf Scholz das Bedürfnis nach engerer Abstimmung in einer Zeit, in der die alten Grundfesten des Westens ins Wanken geraten. Gerade für einige kleinere Staaten sei dies zudem Rückenwind und Argumentationshilfe in schwierigen nationalen Debatten, hatte ein EU-Diplomat schon beim Europarat angemerkt. Und die Regierungschefs kleinerer Nicht-EU-Staaten wollen die Chance nutzen, mit den "großen" europäischen Staaten zu sprechen. Länder wie Norwegen, die Schweiz oder Island haben die EPG deshalb begrüßt, weil sie sich auch als überzeugte Europäer sehen, aber keinem Druck ausgesetzt sein wollen, nun in der EU mitzumachen.

Wie immer bei solchen Treffen finden wichtige Gespräche am Rande statt. So soll Bundeskanzler Olaf Scholz nach Angaben des Regierungssprechers etwa zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und EU-Ratspräsident Charles Michel mit den Staats- und Regierungschefs von Armenien und Aserbaidschan zusammentreffen, um über den Konflikt um Berg-Karabach zu reden.

INFORMELLE RUNDE STATT BESCHLUSSGREMIUM

Dabei unterscheidet sich die Europäische Politische Gemeinschaft allerdings entscheidend etwa vom Europarat. Denn die EPG ist ein ausschließlich informelles und auch unverbindliches Format. Die von Macron angeregte Gesprächsrunde hat ausdrücklich kein Sekretariat und "keinen Unterbau", wie ein EU-Diplomat dies ausdrückt. Und etwa die Bundesregierung hatte schon beim ersten Treffen im vergangenen Jahr klar gemacht, dass sie es auch ablehnt, die EPG zu "institutionalisieren", wie dies in Paris angedacht worden war. Denn das Format soll keine Konkurrenz zum Europarat mit ebenfalls über 40 Mitgliedern werden. Dieser verfügt über den Gerichtshof für Menschenrechte und ist für eine Vielzahl an verbindlichen Konventionen zuständig, die die Werte- und Rechtsstaatsbasis für die Europäer legen.

"Vor allem aber darf die EPG kein Ersatz für den Beitrittsprozess etwa für die Westbalkan-Staaten sein", wird immer wieder betont. Das Misstrauen war groß, dass gerade erweiterungsskeptische Länder wie Frankreich oder die Niederlande mögliche Beitrittsländer mit der EPG abspeisen wollten.

"Die Europäische Politische Gemeinschaft ist keine Konkurrenz zum Europarat", meint auch Frank Schwabe, der Experte für den Europarat in der SPD-Bundestagsfraktion. "Die EPG hat nicht einmal ein Sekretariat und es ist unsicher, wie lange sich dieses Format noch trifft." Er spielt darauf an, dass nach dem Ende des Ukraine-Krieges der Druck für zeitraubende Gipfeltreffen annehmen könnte.

Für die Briten scheint die EPG unabhängig vom Ukraine-Krieg ein ideales Format zu sein: Denn Sunak kann auf europäischer Bühne mitreden, ohne fürchten zu müssen, selbst wegen des Verstoßes gegen europäische Grundwerte kritisiert zu werden. Im Europarat etwa gab es Diskussionen, ob die britische Regierung mit ihrer Abschiebepolitik nicht gegen Europarats-Konventionen verstößt.

(Redigiert von Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)