Reuters

EU-Gericht kippt weitere Teile von Polens Justizreform

05.06.2023
um 17:52 Uhr

Brüssel/Berlin (Reuters) - Die Spannungen zwischen der EU und der nationalkonservativen polnischen Regierung nehmen zu: Das höchste EU-Gericht hat am Montag weitere Aspekte der umstrittenen polnischen Justizreform als nicht vereinbar mit den Grundwerten der Staatengemeinschaft gekippt.

"Die polnische Justizreform vom Dezember 2019 verstößt gegen das EU-Recht", teilte das Gericht in einer Erklärung mit. "Der Wert der Rechtsstaatlichkeit ist ein integraler Bestandteil der Identität der Europäischen Union." Der stellvertretende polnische Justizminister Sebastian Kaleta, ein Hardliner der Regierungspartei PiS, wies das Urteil umgehend als "Farce" zurück. Streit droht auch um das geplante polnische Gesetz zur Untersuchung russischer Einflussnahme.

Nach Angaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg verstößt unter anderem die Regelung gegen EU-Recht, dass die Mitgliedschaft von Richterinnen und Richtern etwa in Verbänden, Organisationen oder Parteien öffentlich gemacht werden kann. Dabei handele es sich um einen widerrechtlichen Eingriff in die Privatsphäre. Die Richter listeten aber gleich mehrere Punkte der von der PiS umgesetzten Reform als schädlich für die Unabhängigkeit der Justiz auf.

Die Klage war von der Europäische Kommission eingereicht worden, die auch den Haushalt der Union verwaltet und die mit der Durchsetzung gemeinsamer Gesetze in allen 27 Mitgliedstaaten beauftragt ist. Die Klage war von Belgien, Finnland, Dänemark, Schweden und den Niederlanden unterstützt worden. Da das Urteil rechtskräftig ist, muss das EU-Mitglied Polen nun die vom EuGH als rechtswidrig eingestuften Elemente seines Justizsystems ändern. Sollte Warschau dies nicht tun, könnte der EuGH weitere Geldstrafen verhängen. Polen zahlt bereits eine Strafe von 500.000 Euro pro Tag, weil es ein im Jahr 2021 getroffenes EuGH-Urteil gegen die Überwachung polnischer Richter nicht vollständig umgesetzt hat. Die EU-Kommission blockiert zudem Warschaus Zugang zu 35,5 Milliarden Euro an EU-Fördermitteln aus dem Corona-Wiederaufbaufonds und weitere Milliarden sogenannter Kohäsionsmittel, die ärmeren Mitgliedsländern eigentlich helfen sollen, ihren Entwicklungsrückstand aufzuholen.

Und es zeichnet sich bereits der nächste Streit ab: Die Kommission hat ein geplantes Gesetz der nationalkonservativen PiS-Regierung kritisiert, nach dem ein Gremium untersuchen soll, ob die Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) das Land übermäßig dem Einfluss Russlands preisgegeben hat. Das Gremium könnte im September einen ersten Bericht vorlegen - also kurz vor den polnischen Parlamentswahlen. Am Wochenende hatte hunderttausende Polen in Warschau gegen die Reform demonstriert. Die PiS regiert das Land seit 2015.

Auch die Bundesregierung sieht das geplante polnische Gesetz zur Untersuchung russischer Einflussnahme kritisch, will aber mit Rücksicht auf die bilateralen Beziehungen keine offene Kritik an der Regierung in Warschau üben.

(Bericht von Gabriela Baczynska, Andreas Rinke, Alexander Ratz, ; redigiert von Christian Rüttger; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)