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Ostwahlen 2024 nähren Sorge vor AfD-Höhenflug

06.06.2023
um 08:07 Uhr

- von Andreas Rinke und Sarah Marsh

Berlin (Reuters) - Als die AfD vor einem Monat in den ersten Umfragen an den Grünen vorbeizog, löste dies in den meisten Medien noch keine große Aufregung aus.

Aber seit das ZDF-Politbarometer und dann das Institut Insa die Rechtspartei bei 18 Prozent oder sogar 19 Prozent sehen, herrscht große Aufregung. Sofort hat die politische Debatte begonnen, wer an dem Höhenflug der AfD Schuld ist - und was dies für die Wahlen in Ostdeutschland im kommenden Jahr bedeuten könnte. Denn im September 2024 wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt - und in den beiden Freistaaten ist sie in Umfragen mit 28 Prozent derzeit stärkste politische Kraft.

Deshalb schrillen die Alarmglocken sowohl in Union, SPD, Grünen und FDP. Die Ampel-Parteien werfen CDU-Politikern vor, sie würden mit ihrer Rhetorik die AfD bedienen. Das gilt vor allem für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmers (CDU) Forderung, die Migration begrenzen. Umgekehrt kritisiert eine Phalanx von Unions-Politikern, dass es die Ampel-Parteien seien, die der AfD Auftrieb gäben - weil sie wichtige Reformen etwa bei der Migration verschleppten und die Menschen mit der Heizungs-Debatte verunsicherten.

"Es ist ein Hilfeschrei der normalen Menschen", sagt etwa Mario Voigt, CDU-Fraktionschef in Thüringen zu Reuters. Sie wollten, dass ein starker Staat ihre Probleme anpacke - dazu gehörten hohe Pflegekosten, teure Lebensmittel, marode Schulen und eine ungesteuerte Migration. "Aber sie erleben einen schwachen Staat dort, wo er stark sein müsste. Und einen Staat, der sich in Bereiche einmischt, die ihn nichts angehen." "Für den Zustand der AfD ist nicht die Union verantwortlich, sondern überwiegend die Regierung und insbesondere die Grünen", twitterte auch CDU-Chef Friedrich Merz.

Das ändert aber nichts daran, dass die Union ein strategisches Problem hat: Denn SPD und Grüne unterstellen vor allem der CDU seit Jahren, irgendwann doch mit der AfD kooperieren zu wollen - auch wenn Merz dies am Sonntag erneut und kategorisch ausschloss. "Die CDU darf im Bund und in den Ländern niemals mit der AfD zusammenarbeiten", betont auch Thüringens CDU-Fraktionschef Voigt. "Es muss klar sein, dass es keine Kooperation geben darf." Nur vermischen sich in der politischen Debatte Themen und Abgrenzung. Denn die CDU dürfe keine eigenen Überzeugungen aufgeben, "nur weil die AfD mit Zustimmung droht", sagt auch Voigt, der die Debatten im thüringischen Landtag kennt. Die CDU müsse "den Protestwählern die Hand reichen und ein demokratisches Angebot" machen.

SPD und Grüne sehen aber genau darin schnell eine Anbiederung, zumal es auf lokaler Ebene immer wieder Grenzüberschreitungen gibt. Das könne man nicht verhindern, heißt es in der Union, in der allerdings sofort auf einzelne Vorfälle verwiesen wird, bei denen im Osten auch SPD oder Grünen einmal mit der AfD gestimmt hatten.

TEUFELSKREISLAUF FÜR DIE MITTE-PARTEIEN?

Gerade mit Blick auf die Ostwahlen im kommenden Jahr sieht Marc Debus von der Uni Mannheim einen Teufelskreislauf. Je stärker Parteien der extremen Rechten oder Linken werden, desto komplizierter sei die Mehrheitsfindung unter den moderaten Parteien. Weil dann gegen die gewollte Umgehung der AfD "untypische" Koalitionen wie etwa in Sachsen-Anhalt aus CDU, SPD und Grünen gebildet werden müssen, sei eine größere Kompromissbereitschaft der Mitte-Parteien nötig. "Desto unzufriedener sind die Wähler", warnt Debus.

Und sollte die Stärke der AfD anhalten, kann die Regierungsbildung in den Landtagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch schwieriger werden, weil die CDU auch nicht mit der Linkspartei koalieren will. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass die AfD 2024 bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland nicht nur in einem Land stärkste Kraft wird", hatte Meinungsforscher Manfred Güllner schon vor einem Monat gewarnt.

Die eigentliche Gefahr sieht er in einer neuen Durchlässigkeit der politischen Meinungen: "Der Damm, den es zwischen der großen Mehrheit der Wahlberechtigten und der AfD gab, scheint aufzuweichen", erklärte Güllner den Umstand, dass inzwischen bei Umfragen auch Leute angäben, die Partei wählen zu wollen, die kein originär rechtes Profil hatten.

Nur Bundeskanzler Olaf Scholz scheint entspannt zu sein und setzt auf wieder sinkende Umfragewerte für die AfD. "Der Bundeskanzler ist optimistisch, dass wenn wir gute Arbeit machen und die Probleme des Landes lösen, so wie dies vorgesehen ist, dass wir uns um dieses Thema dann auch keine großen Sorgen mehr machen müssen", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag zu den Umfragen. Allerdings hatte auch Friedrich Merz 2018 bereits einmal angekündigt, die damals bei 15 Prozent liegende AfD halbieren zu wollen.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)