Reuters

Regierung sucht nach "großem Schub" für die Wirtschaft

29.08.2023
um 15:57 Uhr

- von Andreas Rinke und Christian Krämer

Meseberg (Reuters) - Die Bundesregierung will die lahmende Konjunktur anschieben.

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte dazu zu Beginn der zweitägigen Kabinettsklausur in Meseberg neue Beschlüsse an. "Wir werden über die Möglichkeiten diskutieren, wie wir einen großen Schub in die Sache bekommen", sagte der SPD-Politiker. Das Kabinett will in Meseberg am Mittwoch etwa das steuerliche Entlastungspaket von Finanzminister Christian Lindner (FDP) verabschieden, das laut einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf nun ein Volumen von rund sieben Milliarden Euro haben soll. Auch die Grünen forderten mehr Anstrengungen zur Ankurbelung der Konjunktur - unter anderem mit der Einführung eines Industriestrompreises, der allerdings in der Ampel umstritten ist.

Im Entwurf des sogenannten Wachstumschancengesetzes werden die Steuermindereinnahmen auf 2,6 Milliarden Euro für den Bund, 2,5 Milliarden Euro für die Länder und 1,9 Milliarden Euro für die Gemeinden beziffert. Ursprünglich sollte das Entlastungspaket einen Schub von sechs Milliarden Euro bringen. Lindner hatte am Montag aber angekündigt, dass die zeitweilige Blockade der Verabschiedung im Bundeskabinett zu einer Nachbesserung geführt habe. Das Finanzministerium wollte den Entwurf nicht kommentieren.

Die deutsche Konjunktur könne "noch mehr Wachstum verkraften", sagte Kanzler Scholz. Es gehe darum, mit Gesetzen und weiteren Initiativen das Wachstum zu beleben. Zuvor was bekannt geworden, dass die Einstellungsbereitschaft der deutschen Unternehmen im August angesichts der Konjunkturflaute erneut nachgelassen hat. Das Beschäftigungsbarometer fiel mit 97,0 Punkten so schlecht aus wie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr, wie das Münchner Ifo-Institut am Dienstag zu seiner monatlichen Firmenumfrage mitteilte. Zudem ergab eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter knapp 3600 Betrieben eine verheerende Einschätzung der Energiewende. 52 Prozent der Firmen gaben dabei an, die Energiewende hin zur Klimaneutralität wirke sich bei ihnen negativ oder sogar sehr negativ auf das eigene Geschäft aus. Nur 13 Prozent machen eine positive oder sehr positive Wirkung aus.

Scholz kündigte zudem einen verstärkten Kampf für den Bürokratieabbau an. Es werde viel darüber geredet, aber nicht immer seien Maßnahmen erfolgreich. "Das soll sich ändern." Das sogenannte Deutschland-Tempo beim Aufbau von Flüssiggas-Terminals soll auf alle Bereiche staatlichen Handels übertragen werden. Zudem wolle man in Meseberg über Künstliche Intelligenz reden, bei der es viel Potenzial in Deutschland gebe.

Der Kanzler mahnte erneut eine bessere Zusammenarbeit in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP an. Die Regierung habe eine sehr erfolgreiche Leistungsbilanz. "Es wäre natürlich gut, wenn alle mit ihren Kommunikationsstrategien dazu beitragen", so Scholz.

WEITER STREIT ÜBER INDUSTRIESTROMPREIS

In Meseberg wird am Nachmittag nach einem Gespräch mit KI-Experten auch über Wirtschaftsmaßnahmen geredet. Dabei dürfte auch der umstrittene Industriestrompreis zur Sprache kommen. "Das Wachstumschancengesetz alleine ist aus unserer Sicht zu klein", sagte die Co-Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, in Berlin. Die geplanten Steuerentlastungen reichten nicht, es brauche den Industriestrompreis, um Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern. Dröge signalisierte beim Industriestrompreis im Detail Kompromissbereitschaft. Dies sei beispielsweise bei der Höhe als auch bei der Laufzeit möglich. Die SPD-Bundestagsfraktion will für "vorerst" fünf Jahre einen Industriestrompreis von fünf Cent pro Kilowattstunde für einige energieintensive Betriebe. Kanzler Scholz sieht dies kritisch, die FDP lehnt einen Industriepreis ab.

Auch aus der Wirtschaft kam Kritik. "Deutschland und die deutsche Wirtschaft lebt vom Mittelstand, den Familienunternehmen, den vielen kleinen und mittleren Unternehmen. Dieser Industriestrompreis wird bei denen nicht ankommen", sagte Stefan Wolf, Präsident des Metall-Arbeitergeberverbandes, dem Sender Phoenix. Er forderte statt eines Industriestrompreises eine Senkung oder sogar komplette Abschaffung der Stromsteuer, wodurch alle Unternehmen entlastet würden.

Laut einer neuen Forsa-Umfrage für die Sender RTL/ntv verliert die SPD in der Wählergunst und kommt nur noch auf 17 Prozent. Die Grünen liegen unverändert bei 14 und die FDP bei sieben Prozent. Die Ampel-Koalition hätte danach keine Mehrheit mehr. Zusammen trauen nur noch 19 Prozent der Befragten den Ampel-Parteien eine Lösung der aktuellen Probleme zu - die Werte liegen für die SPD bei neun, den Grünen bei acht und der FDP bei zwei Prozent. 63 Prozent der Bundesbürger halten den Bundeskanzler für führungsschwach.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)