Reuters

Regierung reißt vor G20-Gipfel in Neu-Delhi Slums ab

05.09.2023
um 12:22 Uhr

Neu-Delhi (Reuters) - Als die Bewohner des Slum-Viertels Janta Camp in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi hörten, dass der G20-Gipfel 500 Meter von ihnen entfernt stattfinden wird, hofften sie, davon profitieren zu können.

Stattdessen sind sie heute obdachlos. Dharmender Kumar, Khushboo Devi und ihre drei Kinder gehören zu den Menschen, deren Häuser in den letzten Monaten niedergerissen wurden, um die Umgebung des Gipfel-Treffens am 9. und 10. September zu verschönern. Regierungsbeamte begründen den Abriss allerdings damit, die Unterkünfte seien illegal gewesen und ihre Entfernung finde "kontinuierlich" statt.

Mindestens 49 Abrissaktionen habe es zwischen April und Juli gegeben, bei denen fast 230 Hektar Regierungsland zurückgeholt worden seien, sagte Kaushal Kishore, stellvertretender Minister für Wohnungsbau und städtische Angelegenheiten. "Kein Haus wurde abgerissen, um die Stadt für den G20-Gipfel zu verschönern."

Behausungen in Slums wie das in Janta Camp sind über Jahre in der gesamten Metropolregion Delhi mit ihren rund 30 Millionen Einwohnern hochgezogen worden. Die meisten Bewohner arbeiten in der näheren Umgebung und leben seit Jahrzehnten in ihren Hütten. 2021 sagte der Minister für Wohnungswesen und städtische Angelegenheiten, Hardeep Singh Puri, 13,5 Millionen Menschen lebten in nicht genehmigten Unterkünften.

Die Abrissarbeiten in Janta Camp begannen vor vier Monaten. Bulldozer rollten an einem heißen Morgen im Mai an. Videoaufnahmen zeigen, wie provisorische Häuser aus Blech dem Erdboden gleichgemacht wurden, während die Bewohner zuschauten und in Tränen ausbrachen. "Die Regierung zerstört Häuser und entfernt schutzbedürftige Menschen im Namen der Verschönerung, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was mit den Menschen passieren wird", kritisiert Sunil Kumar Aledia, Geschäftsführer und Gründungsmitglied des in Neu-Delhi ansässigen Center for Holistic Development, das mit den Obdachlosen zusammenarbeitet. Die Bewohner hätten rechtzeitig gewarnt und Orte gefunden werden müssen, an denen sie sich hätten ansiedeln können.

ABRISS MACHT BEWOHNER OBDACHLOS

Der Abriss der Hütten in Janta Camp war ein Schock für Mohammed Shameem, einen der Bewohner. Er habe geglaubt, die "großen Leute", die am G20-Gipfel teilnehmen, würden "den Armen etwas abgeben." Aber das Gegenteil sei der Fall. "Große Leute werden kommen, auf unseren Gräbern sitzen und essen."

Für Kumar, der als Angestellter in einem Büro auf dem Pragati Maidan unweit von Janta Camp arbeitet, ist der Abriss seines Hauses und die Vertreibung seiner Familie ein tiefer Einschnitt gewesen. "Wenn wir von hier wegziehen, wird auch die Bildung meiner Kinder darunter leiden. Hier können sie lernen, weil die Schule in der Nähe ist." Zwei seiner Kinder ? der fünfjährige Srishti und der zehnjährige Eshant ? besuchen eine staatliche Schule in der Gegend. Die Familie, zu der auch Khushboo Devis Vater gehört, lebte 13 Jahre lang in ihrer Hütte, bis sie aufgefordert wurden, das Land zu räumen, "weil das Gebiet gereinigt werden musste."

Nachdem die Häuser von den Bulldozern niedergewalzt worden waren, begannen Kumar und seine Frau, ihre Habseligkeiten einzusammeln, die verstreut am Straßenrand lagen. Anschließend stapelten sie diese auf ein Dreirad, das sie zu ihrer neuen Unterkunft transportierten ? einem zehn Kilometer entfernten Einzelzimmer, für das sie eine monatliche Miete von 2500 Rupien zahlen. Zwei Monate später kehrte die Familie in einen Teil des Janta-Camp-Bereichs zurück, der von den Bulldozern verschont geblieben war, und zahlte nun eine Miete von 3500 Rupien für ein Zimmer. "Es war für meine Kinder schwierig, jeden Tag von der Unterkunft aus, in der wir wohnten, zur Schule zu gehen. Ich möchte, dass sie lernen und gute Leistungen erbringen, wir sind ihretwegen zurückgekehrt", sagte Kumar.

(Bericht von Sakshi Dayal und Anand Katakam;geschrieben von Anneli Palmen, redigiert von Myria Mildenberger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)