Reuters

Studie - Tariflöhne im ersten Halbjahr real um 1,7 Prozent gefallen

07.09.2023
um 09:47 Uhr

Berlin (Reuters) - Trotz spürbar steigender Löhne haben die Tarifbeschäftigten in Deutschland einer Studie zufolge im ersten Halbjahr erneut Kaufkraft eingebüßt.

Zwar legten deren Löhne mit durchschnittlich 5,6 Prozent gut doppelt so stark zu wie 2022, wie das Tarifarchiv des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) am Donnerstag zu seiner Auswertung mitteilte. Die Verbraucherpreise erhöhten sich allerdings mit rund 7,4 Prozent noch deutlicher. Daraus ergebe sich ein Rückgang der Reallöhne von 1,7 Prozent.

"Allerdings kann im zweiten Halbjahr 2023 mit einem starken Rückgang der Inflation gerechnet werden, so dass am Jahresende eine deutlich positivere Tarifbilanz absehbar ist, bei der die Reallohnverluste stärker begrenzt werden", sagte der Leiter des Tarifarchivs, Thorsten Schulten. Angesichts der sich deutlich eintrübenden Konjunkturaussichten dürfe es zu keinem weiteren Einbruch beim privaten Konsum kommen. Daher sei es wichtig, dass "die Tariflohndynamik weiter anhält und Kaufkraftverluste möglichst vermieden werden".

Der Studie zufolge werden in diesem Jahr für gut 9,2 Millionen Beschäftigte Tariferhöhungen wirksam, die bereits 2022 oder früher festgelegt wurden. Hierzu gehören auch große Branchen wie die Metall- und Elektroindustrie oder die Chemische Industrie. Hinzu kommen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres neue Tarifvereinbarungen für weitere 4,4 Millionen Beschäftigte, darunter die Deutsche Post AG und der Öffentliche Dienst (Bund und Gemeinden). Die Neuabschlüsse legten mit durchschnittlich 6,6 Prozent stärker zu als die noch 2022 vereinbarten Tarife mit 5,1 Prozent. Insgesamt gilt für etwa die Hälfte der rund 34 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland ein Tarifvertrag, so die Studie.

In den meisten Abschlüssen wurden zudem sogenannte Inflationsausgleichsprämien vereinbart - also steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, die den Beschäftigten einen höheren Nettolohn und den Unternehmen niedrigere Arbeitskosten ermöglichen. Je nach Tarifbereich variieren sie zwischen 1000 und 3000 Euro. Da die Steuer- und Abgabenersparnisse bei den Inflationsausgleichsprämien sehr unterschiedlich ausfallen, sind sie in den Berechnungen zur Tariflohnentwicklung lediglich als Bruttoeinmalzahlungen berücksichtigt.

Wird der "Brutto-für-netto"-Effekt berücksichtigt, fallen die Tariflohnerhöhungen in einigen Branchen deutlich höher aus. Beispielsweise steigen die Tariflöhne im Öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden) unter Berücksichtigung der Steuer- und Abgabenersparnisse um 9,8 Prozent, ohne nur um 6,8 Prozent. Die Inflationsausgleichsprämien "tragen 2023 in vielen Tarifbranchen dazu bei, die Reallöhne zu sichern", sagte Schulten. "Da es sich hierbei um Einmalzahlungen handelt, wirken sie sich mit ihrem Auslaufen in den Folgejahren jedoch stark dämpfend auf die Lohnentwicklung aus."

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Kerstin Dörr - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)