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Militärexperte - Chancen für Durchbruch der Ukrainer stehen bei 40 bis 50 Prozent

11.09.2023
um 08:07 Uhr

Berlin (Reuters) - Die Ukrainer haben nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala einem Zeitungsbericht zufolge eine Erfolgschance von 40 bis 50 Prozent, bis zum Ende des Jahres die verbliebenen russischen Abwehrstellungen zu überwinden.

"Ja, das ist realistisch", sagte Masala den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagausgabe) auf die Frage, ob er die Einschätzung des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency teile, wonach die Ukraine eine Chance von 40 bis 50 Prozent habe, die verbliebenen russischen Verteidigungslinien bis Ende des Jahres zu durchbrechen. "Das hängt allerdings von mehreren Faktoren ab: Wie reagieren die Russen? Haben sie noch genug Reserven? Werden die Ukrainer die relativ kluge Operationsführung beim Durchbruch durch die ersten beiden Verteidigungslinien fortsetzen? Und: Können Sie ihre Verluste minimieren?" Entscheidend sei, dass die ukrainischen Streitkräfte die russischen Verbände in Bewegung halten können. "Wenn ihnen das nicht gelingt, haben die Russen die Möglichkeit, sich wieder einzugraben."

Die Ukrainer benötigten vor allem Nachschub an Munition, Ersatzteilen und Artilleriesystemen. Zur Kritik des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der Westen liefere zu langsam Waffen und gefährde damit die Gegenoffensive, sagte Masala: "Dahinter würde ich ein Fragezeichen setzen. Bestimmte Waffen kann die Ukraine nicht ausreichend aus dem Westen bekommen, weil sie nicht vorhanden sind." So wünsche sich die Ukraine 500 bis 600 Kampfpanzer. "Die kann der Westen in modernen Systemen nicht liefern, weil er sie nicht zur Verfügung hat. Das gilt zum Beispiel für die Leopard-Panzer vom Typ 2A4 der Bundeswehr." Bei der Verschickung von Munition habe Selenskyj jedoch Recht. "Der Westen fängt erst jetzt an, die Munitionsproduktion richtig hochzufahren. Das ist viel zu spät erfolgt. Und das trifft auch auf die Luftverteidigung im Nahbereich zu. Eines der großen Probleme der ukrainischen Gegenoffensive bestand in der punktuellen Luftüberlegenheit der Russen mit Blick auf die eigenen mechanisierten Verbände." Westliche Kampfflugzeuge wie F16-Jets könnten dazu beitragen, dass die Verluste der Ukrainer minimiert würden. "Darüber hinaus könnten die Ukrainer dann noch stärker mit mechanisierten Verbänden vorgehen, weil diese aus der Luft geschützt werden könnten." 

Der Militärexperte kritisierte angebliche Pläne der Vereinten Nationen (UN), die Regierung in Moskau durch eine Lockerung der westlichen Sanktionen zur Rückkehr zum Getreideabkommen zu bewegen. "Das wäre ein katastrophaler Fehler. Damit würde sich Russland mit einer seiner zentralen Forderungen durchsetzen", erklärte Masala. "Das käme einem Dammbruch gleich mit Blick auf die Bemühungen, afrikanische Staaten davon zu überzeugen, dass Russland der Aggressor ist. Die Hungersnot in diesen Ländern wird nur durch Moskau verursacht. Ginge der UN-Vorschlag durch, stünde Russland als Retter da."

(Bericht von Katharina Loesche. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)