Reuters

Lindner nennt EZB-Zinserhöhung nachvollziehbar - "Inflation noch zu hoch"

15.09.2023
um 11:02 Uhr

Santiago/Berlin (Reuters) - Die europäischen Finanzminister haben versichert, die Inflationsbekämpfung der EZB nicht unterlaufen zu wollen.

"Die Inflation ist unverändert zu hoch", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner am Freitag im nordspanischen Santiago de Compostela zu Beginn eines zweitägigen Treffens mit seinen Amtskollegen aus der EU. Die Bundesregierung sei wegen der hohen Teuerungsrate besorgt, sie sei eine Gefahr für das wirtschaftliche Fundament. "Deswegen ist die Entscheidung der Europäischen Zentralbank nachvollziehbar." Die EZB hatte die Leitzinsen am Donnerstag erneut angehoben auf jetzt 4,5 Prozent. Hohe Zinsen bremsen in der Regel die Inflation, allerdings auch Investitionen und damit das Wirtschaftswachstum.

EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau warnte die Regierungen in Europa vor einer zu lockeren Finanzpolitik, die die Inflation nur noch weiter anheize. Es brauche eine abgestimmte Finanzpolitik. Lindner sagte, Deutschland halte die Schuldenbremse wieder ein. Er wolle eine "moderat restriktive Finanzpolitik" fahren. Dieses Jahr sei mit einem gesamtstaatlichen Defizit von 2,5 Prozent zu rechnen und damit weniger als zunächst erwartet.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni rechnet zum Ende des Jahres und dann vor allem 2024 mit einer konjunkturellen Erholung in Europa. Prioritäten müssten nun sein, die Inflation weiter zu drücken, die europäischen Schuldenregeln zu überarbeiten und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken. Lindner ergänzte, er rechne auch für Deutschland 2024 wieder mit positiven Zahlen für die Wirtschaft. Dieses Jahr dürfte sie schrumpfen, womöglich als einziges großes Industrieland.

Die spanische Wirtschafts- und Finanzministerin Nadia Calvino bekräftigte ebenso wie Deutschland und Frankreich den Zeitplan, bis zum Jahresende eine Verständigung zur Reform der Schuldenregeln in der EU erzielen zu wollen. "Freilich ist da noch einiges miteinander zu besprechen", sagte Lindner jedoch. Die EU-Kommission will künftig individuell ausgehandelte Abbaupfade für EU-Staaten mit zu hohen Haushaltsdefiziten und Schuldenständen. Bisher gibt es pauschale Vorgaben. EU-Länder sollen in der Regel in einem Zeitraum von vier Jahren ihre Werte verbessern müssen, teilweise innerhalb von sieben Jahren. Die europäischen Schuldenregeln sind seit 2020 zunächst wegen der Corona-Pandemie und später wegen der Folgen des Krieges in der Ukraine ausgesetzt, sollen aber ab 2024 wieder greifen. In der Zeit sind die Schuldenstände deutlich gestiegen.

Thema bei den Beratungen in Santiago ist auch der Chefposten bei der Europäischen Investitionsbank (EIB), die seit 2012 und noch bis zum Jahresende vom Deutschen Werner Hoyer geleitet wird. Lindner sagte, es gebe fünf hoch qualifizierte Kandidaten, darunter auch Calvino. Deutschland habe sich noch nicht festgelegt, weswegen kurzfristig keine Entscheidung zu erwarten sei. Gute Chancen werden auch der Dänin und bisheriger EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager eingeräumt.

(Bericht von Maria Martinez, Christian Krämer und Leigh Thomas, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)