Reuters

Bau- und Immobilienbranche - EZB-Zinserhöhung heizt Rezession an

15.09.2023
um 11:52 Uhr

Berlin (Reuters) - Die deutsche Bau- und Immobilienwirtschaft befürchtet nach der erneuten Zinsanhebung durch die Europäische Zentralbank (EZB) eine verschärfte Krise in der Branche.

"Die Erhöhung der Zinsen wird die Rezession am Bau weiter anheizen, da Finanzierungskosten steigen und Bauen weiter verteuert wird", sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. Ähnlich schätzt das der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) ein. "Die riesige Belastung auf der Kosten-Seite ? steigende Zinsen plus steigende Baukosten ? bremst die Bau- und Immobilienwirtschaft zunehmend aus", sagte ZIA-Hauptgeschäftsführer Oliver Wittke. "Keine Frage: Die jüngste EZB-Entscheidung verschärft also diese Lage."

Aus Sicht der EZB, die für die Geldwertstabilität im Euroraum verantwortlich ist, möge der Zinsschritt aufgrund der Inflation zwar nachvollziehbar sein, so die Bauindustrie. Allerdings werde damit die Notwendigkeit erhöht, dass die Bundesregierung ein Bau-Paket auf den Weg bringen müsse. "Nur eine gesunde Bauindustrie schafft den dringend benötigten Wohnraum und verhindert, dass Wohnen zum Luxusgut und damit zu sozialem Sprengstoff wird", sagte Müller. Wohnungsbau sei Standort- und Sozialpolitik. Um gegenzusteuern, fordert der Verband beispielsweise die zeitweise Aussetzung der Grunderwerbssteuer und ein Sondervermögen für öffentliche Wohnungsunternehmen. "Wir brauchen eine massive Ausweitung des Zinsverbilligungsprogramms", fügte Müller hinzu. Auch Eigenkapital-unterstützende Darlehen seien ratsam. Der ZIA fordert weniger Bürokratie und Vorschriften. "Die Branche lechzt nach vereinfachten Verfahren", sagte Wittke. Auch ein starkes Kreditprogramm der Förderbank KfW mit einem Zinssatz von zwei Prozent für Neubauten ab dem sogenannten Standard EH 55 könne dem Wohnungsbau helfen.

Die EZB hat im Kampf gegen die Inflation die Zinsen auf das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion angehoben. Trotz der mauen Konjunktur beschlossen die Euro-Wächter um Notenbankchefin Christine Lagarde am Donnerstag, den Leitzins von 4,25 auf 4,50 Prozent anzuheben - es war bereits die zehnte Anhebung in Folge. "Die EZB geht mit ihrer erneuten Zinserhöhung ein erhebliches Risiko ein", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. "Damit könnte sie dazu beitragen, dass die Wirtschaft der Euro-Zone in die Rezession rutscht, ohne dass sie die Inflation noch schneller senkt."

Die von steigenden Kredit- und Materialkosten ausgelöste Krise im deutschen Wohnungsbau spitzte sich zuletzt zu. Im August berichteten 20,7 Prozent der Firmen von abgesagten Projekten, nach 18,9 Prozent im Vormonat, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner Unternehmensumfrage herausfand. "Die Stornierungen im Wohnungsbau türmen sich zu einem neuen Höchststand auf", sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. "Seit Beginn der Erhebung 1991 haben wir noch nichts Vergleichbares beobachtet. Die Verunsicherung im Markt ist riesig." Infolge der rasant gestiegenen Baukosten und des wesentlich höheren Zinsniveaus seien viele Projekte, die Anfang 2022 noch rentabel waren, aktuell nicht mehr darstellbar.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Kerstin Dörr - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)