Reuters

Italien schlägt wegen Migranten-Ansturm auf Lampedusa Alarm

18.09.2023
um 07:22 Uhr

- von Yara Nardi Andreas Rinke

Lampedusa/Berlin (Reuters) - Italien und die EU wollen rasch auf die in den vergangenen Tagen stark gestiegene Zahl von Migranten und Flüchtlingen reagieren, die auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen sind.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni forderte bei einem Besuch auf Lampedusa mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag ein gemeinsames Vorgehen der 27 EU-Staaten sowie Migrationsabkommen mit den nordafrikanischen Staaten. Von der Leyen sprach von einem Zehn-Punkte-Plan der Kommission und forderte andere EU-Staaten zur Solidarität mit Italien auf. "Ich biete eine koordinierte Antwort der italienischen und europäischen Verantwortlichen an", sagte sie. Am Samstag berieten die Innenministerinnen und Innenminister von Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland mit der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson über das weitere Vorgehen. Das Gespräch soll am Montag fortgesetzt werden.

Seit Wochen kommen täglich Hunderte Menschen in überfüllten Booten auf Lampedusa an. Zuletzt hatte die Zahl nochmals enorm zugenommen. Lampedusa wird von zahlreichen Schlepperbooten angesteuert, die aus Nordafrika kommen. Die Mittelmeerinsel liegt nur rund 140 Kilometer östlich der Küste Tunesiens. Deren Sicherheitskräfte waren am Samstag mit einem Großaufgebot gegen Migranten und Schlepper in mehreren tunesischen Küstenstädten vorgegangen, um die illegale Einwanderung nach Italien zu unterbinden. Hunderte Migranten und zahlreiche Schlepper seien festgenommen worden.

MELONI UNTER DRUCK

Die rechtsgerichtete Regierung Melonis steht auch innenpolitisch unter Druck, weil sie zwar einen harten Kurs gegen illegale Migration angekündigt hat, die Zahlen der aus Nordafrika ankommenden Menschen aber immer weiter steigen. "Wir müssen die irreguläre Migration stoppen", forderte Meloni. Alle EU-Staaten müssten dabei zusammenarbeiten und dürften nicht "aus ideologischen Gründen" andere Positionen beziehen. Die bloße Verteilung der Migranten unter den EU-Ländern löse das Problem nicht. Man müsse verhindern, dass die Schiffe in Nordafrika überhaupt ablegten.

Deutschland hat unterdessen sei Programm zur zusätzlichen Aufnahme von Migranten aus Italien gestoppt, weil die Regierung in Rom ihre Verpflichtungen zur Rücknahme von Schutzsuchenden nach den sogenannten Dublin-Regeln nicht einhalte. Von mehr als 12.400 Übernahmeersuchen an Italien durch die Bundesregierung in diesem Jahr bis Ende August seien bislang nur zehn von Italien akzeptiert worden, hieß es in Berlin.

In diesem Jahr sind laut Innenministerium in Rom rund 126.000 Migranten illegal eingereist, fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2022. Nur rund die Hälfte stellte aber in dem Land einen Asylantrag - in Deutschland ohne EU-Außengrenze waren es dagegen schon mehr als 200.000. Eigentlich sind die EU-Außengrenzstaaten verpflichtet, die Ankommenden zu registrieren und die Asylverfahren dort beginnen zu lassen. Um sie zu entlasten, war ein freiwilliger Mechanismus eingeführt worden, weil sich osteuropäische Länder wie Polen weigern, Migranten und Flüchtlinge aus den südlichen EU-Staaten aufzunehmen.

VON DER LEYEN: EU GEHT GEMEINSAM VOR

"Irreguläre Migration ist eine europäische Herausforderung und wir müssen sie europäisch lösen", sagte von der Leyen auf Lampedusa. Die EU-Staaten und nicht die Schlepper müssten entscheiden, wer in die Union komme. Teil des von ihr angekündigten Zehn-Punkte-Programms sei es, die Hilfe für die tunesische Küstenwache zu beschleunigen. Von der Leyen warb zudem über eine Ausweitung der legalen Zuwanderung, weil man damit das Geschäftsmodell der Schlepper unterlaufen könne. Zudem müsse geprüft werden, ob die EU eine neue Militärmission im Mittelmeer starten solle, um die Schleppertätigkeiten besser überwachen zu können. Die EU wolle den nordafrikanischen Staaten eine Gegenleistung anbieten, damit diese gezielter gegen Schlepper an ihren Küsten vorgehen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte in der ARD, sie unterstütze Pläne von der Leyens, die Überwachung der EU-Außengrenzen aus der Luft und zur See auszuweiten. "Wir werden es nicht anders machen können. Ansonsten kriegen wir die Migrationslage so nicht in den Griff."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte in der "Bild am Sonntag" einen Deutschland-Pakt gegen unkontrollierte Zuwanderung. Er erinnerte an den früheren CSU-Vorschlag, eine "Integrationsgrenze" von höchstens 200.000 Migranten pro Jahr einzuführen. Die Ampel-Regierung habe das Konzept fahrlässig aufgegeben. Dagegen sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Sebastian Hartmann, dem "Tagesspiegel", dass alle Menschen, die Asyl beantragten, auch das Recht auf ein Asylverfahren hätten. Der Vorschlag von Söder sei also nicht rechtens.

(Unter Mitarbeit von Reuters TV, Tony Colapinto, Gavin Jones und Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)