Reuters

Waffenruhe in Bergkarabach - Putin sieht sich als Friedensstifter

20.09.2023
um 15:07 Uhr

Eriwan/Moskau (Reuters) - Einen Tag nach dem Großangriff Aserbaidschans auf seine abtrünnige Region Bergkarabach haben die dort ansässigen Armenier das Ende ihres bewaffneten Widerstands erklärt.

Die Führung der international nicht anerkannten "Republik Arzach" teilte am Mittwoch mit, sie beuge sich einem von Russland vermittelte Waffenstillstand zu Konditionen der aserbaidschanischen Regierung. Demnach sollen die Truppen der ethnischen Armenier in Bergkarabach entwaffnet und aufgelöst werden. Aserbaidschan bestätigte die Waffenruhe. Der russische Präsident Wladimir Putin sagte einem Medienbericht zufolge, Russland strebe eine friedliche Beilegung des Konflikts an.

In dem langjährigen Konflikt hatte Aserbaidschan am Dienstag einen Großangriff gegen den mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnten Landesteil begonnen. Aserbaidschan könne separatistische Truppen auf seinem Territorium nicht dulden, hatte die Regierung in Baku erklärt. Nach ersten Angaben Armeniens wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet. Der frühere Regierungschef der Armenier in Bergkarabach, Ruben Wardanjan, bezifferte im Gespräch mit Reuters am Mittwoch die Zahl der Toten sogar auf annähernd 100. Außerdem seien Hunderte verletzt worden. Armenien, das die Armenier in Bergkarabach traditionell unterstützt, war nach eigenen Angaben werde an den Kämpfen noch an dem Abkommen beteiligt.

Die Armenier in Bergkarabach erklärten, sie seien international im Stich gelassen worden und beugten sich der Übermacht der aserbaidschanischen Streitkräfte. Das Waffenstillstandsabkommens trat nach Angaben beider Seiten am Mittwoch um 13.00 Uhr Ortszeit (11.00 Uhr MESZ) in Kraft. Am Donnerstag sollen Gespräche über die Zukunft der rund 120.000 ethnischen Armenier in Bergkarabach beginnen. Unklar blieb zunächst, ob sie sich mit der ungeliebten Zentralregierung in Baku arrangieren oder ob große Bevölkerungsteile nach Armenien auswandern. Armenien hatte Aserbaidschan den Versuch "ethnischer Säuberungen" vorgeworfen, was die Regierung in Baku zurückgewiesen hat.

Putin sagte der russischen Zeitung "Wedomosti" zufolge, seine Regierung stehe mit sämtlichen Beteiligten des Bergkarabach-Konflikts in Kontakt. Russische Friedenstruppen in der Region täten alles, um Zivilisten zu schützen. Russland hat 2020 nach einem kurzen Krieg zwischen den beiden früheren Sowjetrepubliken Friedenstruppen in der Region stationiert. Putin sagte während eines Treffens mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi, er rechne damit, dass Russland eine friedliche Lösung erreichen könne.

Der Konflikt zwischen Aserbaidschan einerseits und den Armeniern in Bergkarabach sowie Armenien andererseits schwelte bereits, als die gesamte Region noch zur Sowjetunion gehörte. In einem mehrjährigen Krieg, der 1994 endete, wurden rund 30.000 Menschen getötet und mehr als eine Million vertrieben. In einem zweiten Krieg im Jahr 2020, der 44 Tage währte, starben mindestens 6500 Menschen.

Auch nach dem Ende der Sowjetunion 1991 war Russland als Ordnungsmacht in der Region unangefochten. Aserbaidschan verließ jedoch das von Russland dominierte Verteidigungsbündnis OVKS, während Armenien weiterhin Mitglied ist. Doch Armenien sah sich zunehmend von Russland im Stich gelassen, dessen Kräfte zum Teil im Krieg in der Ukraine gebunden sind. Zuletzt hielt Armenien zur Verärgerung Russlands eine Militärübung mit den USA ab. Die USA hatten das jüngste Vorgehen Aserbaidschans in Bergkarabach scharf kritisiert. In der Region macht auch die angrenzende Türkei ihren Einfluss geltend. Sie pflegt enge Beziehungen mit Aserbaidschan. Das Land spielt auch eine wichtige Rolle wegen seiner Öl- und Gasvorkommen.

(Bericht von Lidia Kelly und Felix Light, geschrieben von Jörn Poltz, redigiert von Sabine Ehrhardt.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)