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Börsianer optimistischer zur Konjunktur - Aber "Ritt auf Rasierklinge"

14.11.2023
um 13:57 Uhr

Berlin (Reuters) - Börsenprofis bewerten die Aussichten für die deutsche Wirtschaft im November den vierten Monat in Folge weniger pessimistisch.

Das Barometer zur Einschätzung der Konjunktur im nächsten halben Jahr stieg um 10,9 Punkte auf plus 9,8 Zähler und liegt damit erstmals seit April wieder im positiven Bereich, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag zu seiner Umfrage unter 174 Analysten und Anlegern mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Anstieg auf plus 5,0 Punkte gerechnet. Zugleich stabilisiert sich die Einschätzung der aktuellen Lage: Dieses Barometer stieg minimal um 0,1 auf minus 79,8 Zähler.

"Es erhärtet sich somit der Eindruck, dass die Talsohle der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland erreicht ist", kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach. Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank reagierte eher skeptisch auf die Daten: "Woher der Erwartungsanstieg plötzlich kommt, bleibt ein Rätsel." Offenbar setze sich die Auffassung durch, "dass es angesichts der desolaten Lage künftig nur besser werden kann", sagte Krüger. "Die ZEW-Befragung festigt die Aussicht auf eine vorerst bestenfalls stagnierende Wirtschaftsleistung."

"MINISTERIUM SIEHT DEUTSCHLAND VORERST IN STAGNATION"

Die deutsche Wirtschaft schrumpfte im Sommer um 0,1 Prozent und dürfte mit einem von Ökonomen erwarteten Schwächeln im laufenden Quartal dann in eine vorübergehende - sogenannte technische - Rezession rutschen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Europas größte Volkswirtschaft nächstes Jahr wieder Tritt fasst. Demnach dürfte es 2024 und 2025 dann Wachstumsraten von 1,3 und 1,5 Prozent geben. Derzeit komme die Konjunktur aber nicht vom Fleck und befinde sich in einer Stagnation, heißt es im Monatsbericht des Wirtschaftsministeriums. Das Umfeld habe sich angesichts deutlich sinkender Inflationsraten, steigender Realeinkommen und einer leicht aufgehellten Stimmung in der Wirtschaft zwar etwas verbessert. Die schwache statistische Ausgangslage zum Ende des dritten Quartals belaste aber den Einstieg in das Jahresendquartal 2023.

"Der Konjunkturverlauf ähnelt weiter dem berühmten Ritt auf der Rasierklinge zwischen leichtem Wachstum und rückläufigem Bruttoinlandsprodukt", sagte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. "Mehr liegt derzeit nicht drin." Dies zeigt sich auch beim deutlichen Anziehen der beantragten Regelinsolvenzen im Oktober um 22,4 Prozent zum Vorjahr, wie das Statistische Bundesamt zu vorläufigen Berechnungen mitteilte. Der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) rechnet dennoch nicht mit einer Welle von Firmenpleiten.

Neben dem ZEW-Index verbesserte sich nach fünf Rückgängen in Folge auch sich das Geschäftsklima der kleinen und mittleren Unternehmen im Oktober. Dies signalisierte das KfW-Ifo-Mittelstandsbarometer. KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib bemühte ebenfalls das Bild, dass "die konjunkturelle Talsohle endlich durchschritten ist". Der ZEW-Index für die Euro-Zone zeigte ein gemischtes Bild: Rückgang bei der Lage und Anstieg bei den Erwartungen. Die Wirtschaft im Euroraum war wie in Deutschland im Sommer leicht um 0,1 Prozent zum Vorquartal geschrumpft, teilte das Statistikamt Eurostat mit und bestätigte damit eine erste Schätzung von Ende Oktober.

(Bericht von Klaus Lauer, Reinhard Becker, Christian Krämer und Nette Nöstlinger, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)