Reuters

Neugeschäft der Baubranche bricht ein - "Sorge um Investitionsstopp"

24.11.2023
um 11:27 Uhr

Berlin (Reuters) - Die Zahl der Aufträge der deutschen Baubranche ist im September nach einem starken Zuwachs im Vormonat eingebrochen.

Das Neugeschäft im Bauhauptgewerbe schrumpfte inflationsbereinigt (real) um 7,3 Prozent im Vergleich zum August, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Im Vormonat war das Neugeschäft wegen Großprojekten stark gestiegen.

Beim Wohnungsbau sei die Talsohle immer noch nicht erreicht, hieß es in einer Stellungnahme des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. "Sorge bereitet uns ? neben der Situation im Wohnungsbau ? das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dessen Auswirkungen auf die Haushalte bei Bund und Ländern", sagte Geschäftsführer Tim-Oliver Müller mit Blick auf die Haushaltskrise. So hatte das Bundesverfassungsgericht in der vorigen Woche unter Verweis auf die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse entschieden, dass die ursprünglich als Corona-Kredit bewilligten 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 nicht nachträglich für Investitionen in Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft umgewidmet werden dürfen.

"Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass Investitionen eingespart und wichtige Infrastrukturprojekte auf Eis gelegt werden. Projektvergaben müssen weiterlaufen, ebenso wie die Vorbereitung neuer Maßnahmen", sagte Müller. "Wenn es jetzt zu einem Stopp kommen würde, wäre der Effekt über Monate nicht aufzuholen." Bundeskanzler Olaf Scholz und Bauministerin Klara Geywitz hatten zuvor erklärt, den lahmenden Wohnungsbau mit einem 14-Punkte-Maßnahmenpaket ankurbeln zu wollen.

UNEINHEITLICHE ENTWICKLUNG - HOCHBAU LEGT ZU

Die Auftragsentwicklung war im September zweigeteilt: Während das Neugeschäft im Tiefbau - wozu beispielsweise der Straßenbau zählt - real um 18,8 Prozent zurückging, wuchs der Auftragseingang im Hochbau - der vor allem durch den Wohnbau geprägt ist - um 7,9 Prozent. Insgesamt fällt die Bilanz für die ersten drei Quartalen 2023 wegen sehr niedriger Aufträge zu Jahresbeginn negativ aus: Das Neugeschäft schrumpfte inflationsbereinigt um 5,6 Prozent.

Kräftig gestiegene Zinsen, mit denen die Europäische Zentralbank (EZB) die hohe Inflation bekämpfen will, machen der Branche zu schaffen. Dadurch werden viele Projekte für Bauherren unrentabel, zumal sich auch die Baupreise deutlich erhöht haben. In der Branche stieg der Anteil der existenzgefährdeten Betriebe seit Januar 2023 laut Ifo-Institut von 5,1 auf 8,9 Prozent. Das ist der höchste Wert für den Bau, seit die Frage im Juni 2020 das erste Mal gestellt wurde. Die kriselnde Branche belastet mittlerweile auch die Konjunktur. Insgesamt steht die deutsche Wirtschaft nach einem Rückgang im dritten Quartal vor einer neuen Rezession.

Im Bauhauptgewerbe ist der reale Umsatz im September gegenüber dem Vorjahresmonat um 1,5 Prozent gesunken. Nominal legte er wegen der stark gestiegenen Baupreise jedoch zu - und zwar um 2,2 Prozent auf 10,3 Milliarden Euro.

Auch die Zahl der Beschäftigten stieg um 0,9 Prozent im Vergleich zum August. Verbandschef Müller sieht die Jobs in der Branche jedoch gefährdet: "Neben sozialen Verwerfungen wird der Konjunktureinbruch zwangsläufig dazu führen, dass die Wohnungsbauunternehmen Personal abbauen, wichtige Kapazitäten gehen so über Jahre verloren. Dieser Teufelskreis ist Realität." Schließlich habe im Rahmen der Herbstumfrage des DIHK schon jedes dritte Hochbauunternehmen angegeben, in den kommenden zwölf Monaten Beschäftigung abzubauen, erklärte er.

(Bericht von Nette Nöstlinger, redigiert von Reinhard Becker und Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)