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Morawiecki kritisiert vor Vertrauensvotum seinen wahrscheinlichen Nachfolger Tusk

11.12.2023
um 13:57 Uhr

Warschau (Reuters) - In Polen hat der amtierende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor der entscheidenden Vertrauensabstimmung seinen voraussichtlichen Nachfolger Donald Tusk kritisiert.

Tusks liberale Politik als Regierungschef von 2007 bis 2014 habe Polen ausländischen Interessen unterworfen und die Wirtschaft belastet, sagte Morawiecki am Montag im Parlament. Es wird allgemein erwartet, dass er ein für den Nachmittag angesetztes Votum zur Vertrauensfrage mangels parlamentarischer Mehrheit verliert. Damit wäre der Weg frei für einen Macht- und Regierungswechsel bei Deutschlands Nachbar. Denn dann könnte das Abgeordnetenhaus den Auftrag zur Regierungsbildung noch im Laufe des Tages an Oppositionsführer Tusk vom liberal-konservativen Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO) vergeben. Dessen Dreier-Bündnis zusammen mit dem Dritten Weg und der Neuen Linken hat seit der Wahl vom 15. Oktober die Mehrheit im Parlament.

Zu der mit Spannung erwarteten Sitzung im Abgeordnetenhaus schrieb Tusk auf der Plattform X, dem ehemaligen Twitter: "Auf die Plätze, fertig, los! ("Ready, steady, go!"). Der erste demokratisch gewählte Präsident Polens nach dem Fall des Kommunismus, der Gewerkschaftsführer und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, war im Sejm anwesend und erhielt stehende Ovationen von der Opposition. Der 80-Jährige trug einen Pullover mit der Aufschrift "Verfassung". Damit äußern Gegner der Regierungspartei PiS ihre Kritik an der Herrschaft der Partei, die sie als demokratischen Rückfall sehen.

Morawieckis nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte ihre absolute Mehrheit verloren, blieb aber stärkste Fraktion. Morawiecki erhielt den Auftrag zur Regierungsbildung von Staatspräsident Andrzej Duda, der auch aus den Reihen der PiS stammt und ein Gegner des angestrebten Regierungswechsels ist.

Mit einem Machtwechsel könnte auch ein jahrelanger Streit zwischen der EU und Polen etwa über die umstrittene Justizreform und Zuteilung von eingefrorenen EU-Mitteln in Milliarden-Höhe zu Ende gehen. Der 66-jährige Tusk war bereits von 2007 bis 2014 Ministerpräsident sowie von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates und hat deshalb noch gute Kontakte nach Brüssel. Er hat wiederholt betont, er wolle Polens Position in Europa "wieder aufbauen." "Wenn jemand Polen zurück auf den demokratischen Weg der EU führen kann, dann ist es Tusk", sagte ein hochrangiger EU-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir vertrauen auf seine Führung."

Tusks politische Gegner werfen ihm allerdings vor, ausländische Interessen über die Interessen von Polen zu stellen. Ähnlich äußerte sich nun auch Morawiecki. Er plädierte zudem für ein "Europa der Vaterländer, kein Europa ohne Vaterländer ? wir sind nicht damit einverstanden, den Staaten Kompetenzen zu entziehen". Eine Abgeordnete von Tusks Bürgerkoalition (KO) stand als Zeichen des Protests mit dem Rücken zu Morawiecki während dessen Rede.

(Bericht von Anna Koper, Alan Charlish, Kuba Stezycki und Pawel Florkiewicz in Warschau unter Mitarbeit von Jan Strupczewski in Brüssel, geschrieben von Klaus Lauer; redigiert von Sabine Ehrhardt - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)