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Alle gemeinsam gegen AfD? - Warum die Idee plötzlich zirkuliert

18.01.2024
um 07:57 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Mit einigen Tagen Abstand zeigt sich, dass die Berichte über eine Teilnahme von AfD-Politikern an einer Konferenz in Potsdam ein politisches Erdbeben ausgelöst haben.

In immer mehr Städten gibt es Demonstrationen gegen geplante Massendeportationen von Migranten. Weitere Großkundgebungen sind in Frankfurt, Erfurt, Braunschweig und zahlreichen anderen Städten geplant. Auch die AfD und die CDU haben reagiert: So kritisierte AfD-Co-Bundessprecherin Alice Weidel zwar eine Diffamierungskampagne. Sie bestätigte aber, einen Mitarbeiter gefeuert zu haben, der an der Konferenz teilgenommen hatte. Die CDU will ein Parteimitglied, das ebenfalls auf der Konferenz war, ausschließen. Zugleich mehren sich Appelle, dass alle Parteien der Mitte sich gegen die AfD zusammentun müssten. Von einer "Allianz der Mitte" sprach NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).

Auslöser ist zum einen eine aufgeregte Stimmung, die sich auch an den Bauernprotesten festmacht. Sicherheitskreise warnten, dass Rechtsextreme die Proteste gegen die Ampel-Regierung unterwandern könnten. Zum anderen liegt dies an der Stärke der AfD - die Partei liegt bei Umfragen für die drei Landtagwahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg jeweils an Platz eins der Wählergunst, obwohl sie in zwei der drei Länder als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird. Das Erschrecken bei SPD, CDU, Grünen und FDP ist groß. Egal ob auf der Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion, des CDU-Bundesvorstandes oder im Ampel-Bundeskabinett - überall wird diskutiert, wie man einen Siegeszug der AfD stoppen kann.

ALLE GEGEN DIE AFD? - AUS LOKALEBENE PASSIERT DIES BEREITS

"Nun gibt es eine Gegenbewegung, offenbar sind viele Menschen aufgerüttelt", sagen Quellen in der Bundesregierung und Opposition gleichermaßen. "Wir alle, alle demokratischen Parteien der politischen Mitte haben die Aufgabe, sich mit dieser Partei jetzt sehr hart auseinanderzusetzen. Ich erwarte auch von der SPD, von der FDP und den Grünen, dass sie das tun", mahnt CDU-Chef Friedrich Merz. Für einen Moment sieht es so aus, als ob der parteipolitische Streit in den Hintergrund rückt.

Tatsächlich passiert dies bereits auf lokaler Ebene. Denn bei zahlreichen Landrats- oder Bürgermeisterwahlen im Osten hatten sich die Mitte-Parteien abgesprochen, nur den vielversprechendsten Gegenkandidaten zu AfD-Politikern zu unterstützen. So gewann etwa im thüringischen Nordhausen ein Parteiloser gegen den AfD-Kandidaten in der Stichwahl. Im sächsischen Pirna dagegen war die Rechtspartei bei der Bürgermeisterwahl nur deshalb erfolgreich, weil CDU und Freie Wähler eigene Kandidaten in die zweite Wahlrunde schickten, die sich gegenseitig Stimmen wegnahmen.

DIE GRENZEN DER GEMEINSAMKEIT

Nun wird diskutiert, ob es solche Allianzen auch auf Landesebene geben sollte. So sagte der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass er in Sachsen CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer wählen würde. Ein Grund ist, dass die SPD bei der Landtagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern droht und die Stimmen dann verloren wären. So weit will bei der eigenen Selbstaufgabe aber kaum jemand gehen - zumal der Appell dann auch an Grüne und FDP in Sachsen angesichts ebenfalls schlechter Umfragewerte gehen müsste.

Im Umkehrschluss müsste zudem die CDU in Brandenburg auch den Amtsinhaber Dietmar Woidke (SPD) unterstützen. Denn laut einer Forsa-Umfrage gaben nur 27 Prozent der Befragten in Sachsen und Brandenburg an, eine andere Person wäre besser geeignet als der jeweils amtierende Ministerpräsident. In Thüringen, wo der Linken-Politiker Bodo Ramelow regiert, sind dies 36 Prozent. Der sogenannte "Amtsbonus" könnte also den jeweils regierenden Parteien helfen.

Allerdings: In Wahrheit sind die Appelle zur Geschlossenheit begrenzt. Zu den Demonstrationen rufen meist eher Gruppierungen auf, die links der Mitte stehen. Die Union macht die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP und deren Migrationspolitik dafür verantwortlich, dass die AfD seit der Bundestagswahl nach oben schoss. Und in der SPD und bei den Grünen gibt es den Vorwurf, die CDU rücke thematisch und verbal in die Nähe der AfD.

Zudem gibt es interne Warnungen in der Regierung, trotz eines durchaus begrüßten Solidarisierungseffekts der "schweigenden Mehrheit" nicht über das Ziel hinauszuschießen. Ampel- und Unionspolitiker würden das "Kampagnen-Framing" des Recherchenetzwerkes Correctiv bewusst übernehmen, kritisiert AfD-Chefin Weidel und knüpft damit an die Behauptung Erzählung an, dass ihre Partei immer falsch verstanden und diffamiert würde. Tatsächlich gab es auch in Regierungskreisen bei aller Warnung vor der AfD Kopfschütteln darüber, dass NRW-Ministerpräsident Wüst die AfD eine "Nazi-Partei" nannte und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert das Treffen in Potsdam als "Wannsee-Konferenz 2.0" bezeichnete - in Anspielung an die NS-Konferenz 1942 zur Organisation des Massenmordes an Juden.

(Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)