Reuters

Facebook und die heikle Debatte über Corona-Impfungen

11.08.2020
um 07:37 Uhr

- von Elizabeth Culliford und Gabriella Borter

London/New York (Reuters) - Seit die Weltgesundheitsorganisation WHO wegen des Coronavirus im Januar den Gesundheitsnotstand ausgerufen hat, hat Facebook mehr als sieben Millionen Nutzerbeiträge mit Falschbehauptungen über das Virus gelöscht.

Darunter war zuletzt auch ein Video von US-Präsident Donald Trump, in dem dieser sagte, Kinder seien "nahezu immun" gegen den Covid-19-Erreger. Die Facebook-Kontrolleure stehen bei solchen Entscheidungen immer vor einem Dilemma - einerseits sollen Falschinformationen eingedämmt, andererseits die Meinungsfreiheit gewährleistet werden. Doch beim Thema Corona-Impfstoff ist das Problem noch ausgeprägter: "Wie überprüft man Tatsachenbehauptungen über einen Impfstoff, der noch nicht existiert?", bringt es Tom Phillips vom Facebook-Partner für Faktenchecks, Full Fact, auf den Punkt.

Als Maßstab für die Entfernung von Fehlinformationen legt Facebook bisher die Frage an, ob das Risiko eines unmittelbaren Schadens besteht. Diese Frage bejaht das Unternehmen etwa bei der Behauptung, dass das Abstandsgebot in der Öffentlichkeit nichts nütze, und beruft sich dabei auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. An möglichen Impfstoffen hingegen wird noch geforscht. Über deren Wirksamkeit können damit auch Wissenschaftler noch keine verlässlichen Aussagen treffen. Die Frage sei, wie man Behauptungen über noch unerprobte Impfstoffe kontrolliere, erläutert Facebook-Manager Jason Hirsch, der bei Facebook dem Umgang mit dem Thema Impfstoffe verantwortet. "Unsere Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt, bis die verfügbaren Fakten konkreter werden."

Um Antworten auf diese Frage zu finden, berät sich Facebook nach eigenen Angaben mit rund 50 Fachleuten für Gesundheitswesen, Impfstoffe und Meinungsfreiheit. Mediziner befürchten, dass die massenhafte Verbreitung von Gerüchten über eine Unwirksamkeit oder gar Schädlichkeit von Impfungen gegen das Coronavirus dazu führt, dass viele Menschen sich nicht impfen lassen. Gesundheitsexperten dringen deshalb auf eine rigide Löschpolitik. "Meiner Ansicht nach sind Plattformen in der Pflicht, alles zu entfernen, was Schaden anrichten könnte", sagt der Sozialwissenschaftler Rupali Limaye von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Andere Wissenschaftler warnen vor einer massenhaften Löschung von Beiträgen. "Das könnte langfristige Konsequenzen für die Meinungsfreiheit haben, auch nachdem das Virus hoffentlich eingedämmt worden ist", sagt Jacob Mchangama, Chef der Forschungseinrichtung Justitia in Kopenhagen.

FACEBOOK-GRUPPEN VON IMPFGEGNERN SPRIEßEN

Als im vergangenen Jahr in Pakistan Falschbehauptungen über die Polioimpfung zu Übergriffen auf Mitarbeiter des Gesundheitswesens führten, rechtfertigte das aus Sicht von Facebook die Entfernung entsprechender Beiträge. Auf der Pazifikinsel Samoa löschte Facebook Gerüchte von Impfgegnern, als die niedrige Impfquote zu einer gefährlichen Ausbreitung einer Masern-Epidemie führte. In der Corona-Pandemie haben sich bisher Millionen Menschen infiziert. Hunderttausende sind gestorben. Bei einer Umfrage von Reuters und Ipsos in den USA gaben 28 Prozent der Teilnehmer an, kein Interesse an einer Impfung zu haben. Mehr als ein Drittel hat nach eigenen Angaben kein Vertrauen in die Menschen, die für die Entwicklung der Impfstoffe verantwortlich sind.

Der Unternehmer Michael Schneider aus der Kleinstadt Waukesha im US-Bundesstaat Wisconsin hat für seine Impfgegner-Gruppe auf Facebook in weniger als vier Monaten 14.000 Mitglieder gewonnen. Nach Reuters-Recherchen entstanden in den vergangenen Monaten mehr als ein Dutzend solcher Gruppen, die sich gegen Covid-19-Impfstoffe und eine mögliche Impfpflicht wenden. Die Impfstoffentwicklung laufe zu schnell, um sichere Ergebnisse zu produzieren, sagt Schneider zu Reuters. "Ich glaube, viele Menschen flippen aus." In einem Beitrag verlinkt der 42-jährige auf ein YouTube-Video, in dem behauptet wird, ein Covid-19-Impfstoff verändere die menschliche DNA. Diesen Beitrag etwa hat Facebook nicht gelöscht, sondern als "falsche Information" gekennzeichnet. "Wenn wir alle Verschwörungstheorien und Hoaxes einfach entfernen würden, dann gäbe es sie anderswo im Internet", erklärt eine Facebook-Sprecherin. Mit der Kennzeichnung hingegen könne der Plattformbetreiber Falschinformationen als solche einordnen.

Meta Platforms Inc.

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