Reuters

Zeuge im VW-Anlegerprozess will nichts gewusst haben

20.09.2023
um 13:37 Uhr

Braunschweig (Reuters) - Im milliardenschweren Anlegerprozess gegen Volkswagen und dessen Hauptaktionär Porsche SE im Zusammenhang mit dem Dieselskandal hat das Gericht den ersten Zeugen vernommen.

Der frühere Volkswagen-Personalvorstand Horst Neumann sagte am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, er habe erst in der Krisensitzung des Konzernvorstands am 22. September 2015 von dem Abgasskandal erfahren. In den Jahren davor hätten Techniker zwar immer mal wieder von Problemen bei der Zulassung des TDI-Dieselmotors mit der Kennung EA189 in den USA berichtet, diese aber als lösbar geschildert. Von einer Manipulation der Abgaswerte sei dabei nicht die Rede gewesen. An drohende Strafzahlungen im Vorfeld der Veröffentlichung durch die US-Umweltbehörden EPA könne er sich nicht erinnern.

Für ihn und andere Vorstände sei das Ausmaß der Abgasmanipulation eine "Schreckensnachricht" gewesen. "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen", sagte Neumann vor Gericht. Praktisch stündlich sei in der Vorstandssitzung immer klarer geworden, wieviele Dieselautos mit der Abschalteinrichtung "verseucht" gewesen seien. Er kenne niemanden im Vorstand, der vorher davon gewusst habe. Der damalige Konzernchef Martin Winterkorn sei während der dramatischen Sitzung "immer weiter in sich zusammengesunken".

In den Jahren davor sei bei Volkswagen klargeworden, dass die Abgasreinigung bei dem Dieselmotor aufwändiger sei, als sich die Techniker dies anfangs vorgestellt hätten. Mitte 2015 hätten Entwicklungsvorstände berichtet: "Wir kriegen Probleme mit der Zulassung." Ingenieure hätten jedoch gesagt, sie hätten das im Griff. Danach habe er nichts mehr davon gehört. "Das war der Stand bis zum 22. September, als der große Knall kam." Da sei allen klargeworden, dass der Motor nicht zu retten sei. Ihm sei die Werbung mit dem "Clean Diesel" heute noch schmerzlich in Erinnerung, bei der in einem Werbeclip ein weißes Taschentuch vor den Auspuff gehalten wurde, um zu zeigen, dass die Abgase sauber seien.

86 ZEUGEN

Das Oberlandesgericht hatte im Juli beschlossen, insgesamt 86 Zeugen zu vernehmen, um Aufschluss über die Abläufe vor Bekanntwerden des Dieselskandals vor acht Jahren zu geben. Unter ihnen ist auch der nach Bekanntwerden des Dieselskandals 2015 zurückgetretene Konzernchef Winterkorn. Ob dieser von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch macht, ist nicht bekannt. Auch der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler, der gegen seine Verurteilung im Abgasprozess vor dem Landgericht München in Revision gegangen ist, soll in Braunschweig als Zeuge aussagen. Eine Entscheidung über ein mögliches Zeugnisverweigerungsrecht von Stadler mit Blick auf das anhängige Revisionsverfahren wurde zurückgestellt.

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts verhandelt seit fünf Jahren über eine Musterklage der Fondsgesellschaft Deka Investment der Sparkassen wegen erlittener Kursverluste durch den VW-Abgasskandal. Die Kläger - zumeist institutionelle Anleger - werfen Volkswagen und der ebenfalls beklagten Porsche Holding vor, die Information über "Dieselgate" lange geheim gehalten und ihnen dadurch einen Wertverlust ihrer Aktien eingebrockt zu haben. Dem hält Volkswagen entgegen, die Kursrelevanz sei erst durch die Veröffentlichung der US-Umweltbehörde EPA am 18. September 2015 erkennbar geworden. Die Wiedergutmachung des Abgasskandals, vor allem Bußgelder, Schadensersatz und Rechtsanwaltskosten, hat Volkswagen bisher mehr als 32 Milliarden Euro gekostet.

Die Summe der Anleger-Forderungen beläuft sich auf insgesamt neun Milliarden Euro. Davon liegen Forderungen von etwa der Hälfte beim Landgericht Braunschweig. Die Kläger können im Fall eines Urteils zugunsten der Deka ihre Ansprüche dort durchsetzen. Auch nach fünf Jahren ist ein Ende des Prozesses nicht absehbar. Das Gericht hatte erst weitere Verhandlungstage bis Ende 2024 festgelegt.

(Bericht von Jan C. Schwartz; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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