Reuters

Angst vor Virus-Mutation treibt Lockdown-Debatte an

12.01.2021
um 15:22 Uhr

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Die Angst vor einer Ausbreitung von mutierten Coronaviren treibt die Debatte über eine erneute Verschärfung des Lockdowns voran.

"Deutschland steht vor acht bis zehn sehr harten Wochen", sagte Kanzlerin Angela Merkel nach Auskunft mehrerer Teilnehmer in der Arbeitsgruppe Sicherheit der Unions-Bundestagsfraktion am Dienstag. Die Entwicklung in Irland habe gezeigt, wie schnell sich die hochansteckende Virus-Variante ausbreiten könne. Dort habe es innerhalb kurzer Zeit eine Verzehnfachung der Infektionszahlen gegeben. In Bund-Länder-Kreisen wird nach Informationen von Reuters deshalb überlegt, ob es nicht schon vor dem 25. Januar ein neues Spitzengespräch über den Lockdown geben sollte. Baden-Württemberg Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte laut Medienberichten, dass man notfalls auch über schärfere Maßnahmen nachdenken müsse.

Die in Großbritannien zuerst festgestellte Virus-Variante gilt als sehr viel ansteckender und droht damit die Erfolge bei der Reduzierung der Neuinfektionen wieder zunichtezumachen. Zwar gibt es leichte Hoffnungszeichen: So ist die Zahl der Intensivpatienten nun seit dem 3. Januar jeden Tag gesunken. Aber Merkel warnte vor einem Rückschlag durch die Mutationen. Wenn diese sich ausbreiteten, müsse man an längere Einschränkungen denken. "Wir müssen uns zusätzlich Sorgen machen aufgrund der Nachrichten aus Großbritannien und Irland über ein mutiertes, viel infektiöseres Virus", warnte auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Bundesfinanzminister Olaf Scholz will sich aber nicht festlegen, ob der Lockdown in Deutschland über Januar hinaus verlängert werden könnte. "An dieser Stelle macht es keinen Sinn zu spekulieren", sagte der SPD-Politiker in einem Reuters-Interview beim Digitalforum "Reuters Next". Vergangene Woche hatte Kanzleramtsminister Helge Braun im Reuters-Interview eindringlich gewarnt, dass die Virus-Mutationen bei einer Ausbreitung das deutsche Gesundheitssystem sehr schnell an den Rand seiner Kapazitäten bringen könnte.

Das Robert-Koch-Institut meldete am Dienstag 12.802 neue Positiv-Tests. Weitere 891 Menschen starben, die positiv getestet wurden. Den Sieben-Tages-Inzidenzwert gab das RKI mit 164,5 an. Der Wert gibt an, wie viele Menschen sich rechnerisch pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen neu infizieren. Bund und Länder streben eine rasche Senkung auf den Wert 50 an.

DEBATTE UM IMPFPFLICHT - SÖDER ERNTET WIDERSPRUCH

Angesichts der hohen Zahlen stieß Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag eine Debatte über eine mögliche Impfpflicht für Pflegekräfte an - erntete aber umgehend Widerspruch. Arbeitsminister Heil (SPD), FDP-Generalsekretär Volker Wissing sowie der CDU-Kandidat für den Parteivorsitz, Friedrich Merz, wiesen den Vorstoß des CSU-Chefs zurück. "Wir sind gegen eine Impfpflicht", sagt auch die Vorsitzende des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBP), Christel Bienstein, zu Reuters. Die Gewerkschaft verdi und die Diakonie, die beide Pflegekräfte vertreten, forderten zum Impfen auf, sind aber ebenfalls gegen eine Impfpflicht. "Die Impfung gegen das Virus in den Pflegeeinrichtungen der Diakonie erfolgt ausschließlich freiwillig. Das gilt sowohl für die Bewohnerinnen und Bewohner als auch für die Mitarbeitenden", sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie zu Reuters.

Dem widersprachen die Senioren-Union und Weltärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery: "Wer Umgang mit vulnerablen Gruppen hat, muss immunisiert sein", sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes der Funke-Mediengruppe.

Söder hatte sowohl im ZDF als auch der "Süddeutschen Zeitung" gefordert, dass man über eine Impfpflicht für Pflegekräfte nachdenken müsse, weil in der Berufsgruppe die Impfbereitschaft nicht hoch genug sei und man Heimbewohner schützen müsse. Er forderte in der "Süddeutschen Zeitung", dass Impfen "Bürgerpflicht" werden müsse und verlangte eine Stellungnahme des Ethikrates. Dieser teilte auf Anfrage mit, dass er nur auf Bitten von Bundesregierung oder Bundestag tätig werden könne. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte ein neues Bundestagsgremium, dass sich mit Impf-Themen beschäftigen solle.

Den Bundesländern steht derweil nun auch Impfstoff der US-Firma Moderna zur Verfügung, nachdem sie bislang nur das Mittel aus dem Hause Biontech/Pfizer hatten. "Die Debatte 'Es gibt zu wenig Impfstoff' wird sehr schnell von einer anderen abgelöst werden: 'Es gib zu wenige, die sich impfen lassen", sagte der CSU-Politiker Dobrindt. In den Tagen hatte es immer wieder Berichte gegeben, dass sich Pflegepersonal zu einem erheblichen Teil nicht impfen lassen wolle. Söder führte dies im ZDF auf Desinformation zurück und forderte eine verstärkte bundesweite Werbekampagne fürs Impfen. Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits mit einer solchen Kampagne begonnen.

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