Reuters

Scholz-Vertrauter rechtfertigt Konsequenzen aus Fall Wirecard

22.04.2021
um 07:17 Uhr

Berlin (Reuters) - Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Wirecard-Bilanzbetrug hat das Finanzministerium seine Konsequenzen aus dem Fall verteidigt.

Staatssekretär Jörg Kukies, einer der engsten Mitarbeiter von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), sagte am Mittwoch im Bundestag, die kriminellen Handlungen in dem Unternehmen hätten alle getäuscht, es seien aber die richtigen Schlüsse gezogen worden. Kritik kam von allen Parteien außer der SPD. Der U-Ausschuss, der bereits zahlreiche Verfehlungen zutage gefördert hat, wird in dieser Woche mit den bislang hochrangigsten Zeugen zunehmend parteipolitisch. Am Donnerstag muss Scholz Rede und Antwort stehen, am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Danach soll das Sondergremium einen Abschlussbericht erstellen und die Versäumnisse der Regierung und ihrer Behörden auflisten.

Kukies, der als Schlüsselzeuge gilt, sagte in einem rund 100-minütigen Eingangsstatement, das geplante Wirecard-Gesetz FISG werde hoffentlich zügig im Bundestag verabschiedet. Zudem sei eine umfassende Reform der Bonner Finanzaufsichtsbehörde BaFin auf den Weg gebracht worden. Die BaFin bekomme mehr Befugnisse und der designierte Behördenchef Mark Branson stehe für den angestrebten Kulturwandel. "Damit wurden wichtige Lehren aus dem Fall Wirecard gezogen."

Der Zahlungsabwickler und frühere Dax-Konzern war im Juni 2020 nach Bekanntwerden milliardenschwerer Luftbuchungen in die Pleite gerutscht. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche. Mehrere Ex-Vorstände von Wirecard sitzen in Untersuchungshaft oder sind auf der Flucht. Der BaFin und damit auch dem Finanzministerium werden ein weitgehendes Versagen in dem Fall vorgeworfen. In der Kritik steht aber auch der Wirtschaftsprüfer EY, der jahrelang die Bilanzen von Wirecard testiert hat.

"Kukies kann nicht schlüssig erklären, warum er nicht rechtzeitig auf ein härteres Vorgehen gegen Wirecard gedrungen hat", sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar der Nachrichtenagentur Reuters. "Das ist aber der Knackpunkt, um den sich alles dreht." Es habe genug Warnungen gegeben, Wirecard sei keine unabwendbare Naturkatastrophe gewesen. Die Grünen-Politikerin Lisa Paus sagte, bei Kukies liefen fast alle Fäden zusammen. "Er ist die Spinne im Netz." Er habe zu wenig Fehler eingeräumt. "Ein echter Kulturwandel in der Finanzaufsicht fängt aber mit einer modernen und positiven Fehlerkultur an."

SPD - FINANZMINISTERIUM HATTE KRITISCHE GRUNDHALTUNG

Ganz anders die Bewertung der SPD: "Zahlreiche Akten belegen die kritische Grundhaltung im Finanzministerium", sagte Jens Zimmermann, der für die Sozialdemokraten im Ausschuss sitzt. Kukies - ein früherer Investmentbanker von Goldman Sachs mit SPD-Parteibuch - habe die BaFin und die "Bilanzpolizei" DPR zur Aufklärung gedrängt. "Die heutige Vernehmung hat deutlich gezeigt, dass von den Vorwürfen gegen Minister Scholz nichts übriggeblieben ist."

Das geplante Ge­set­z zur Stär­kung der Fi­nanz­mark­tin­te­gri­tät (FISG) soll die BaFin effektiver machen und Wirtschaftsprüfer enger an die Leine nehmen. Änderungen bei den Beratungen im Bundestag zeichnen sich aber bereits ab. Das zweistufige Verfahren der Bilanzkontrolle in Deutschland aus BaFin und der privatwirtschaftlichen DPR habe sich nicht bewährt, sei aber im FISG noch drin, kritisierte CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer. "Wir wollen nachschärfen." Hier hatte die SPD zuletzt Kompromissbereitschaft signalisiert. Kukies sagte, die BaFin werde die nötigen zusätzlichen Finanzmitttel bekommen und auch mehr Eingriffsrechte. Auch er kritisierte die DPR-Prüfung der Wirecard-Bilanzen, die nicht richtig vorangekommen sei. "Da hat die Dringlichkeit gefehlt."

Kukies sagte zudem, es sei nie zugunsten von Wirecard interveniert worden. Das umstrittene Leerverkaufsverbot im Februar 2019 habe die BaFin ohne politischen Druck verhängt. Damit wurden, obwohl es bereits Hinweise in Medien und von Investoren auf Ungereimtheiten bei Wirecard gab, Wetten auf Wirecard-Kursverluste verboten. Das Ministerium mische sich wie im Gesetz vorgesehen nicht in Einzelfallentscheidungen ein, so Kukies. Kritiker bemängeln dagegen, dass Wirecard damit ein staatliches Gütesiegel verliehen wurde. Es habe das fatale Signal gesendet, dass bei Wirecard alles in Ordnung sei, sagte Hauer. FDP-Finanzpolitiker Toncar kritisierte, die Unabhängigkeit der Behörde achten zu wollen, sei eine pure Ausrede und Schutzbehauptung.

Kukies hat im November 2019 auch persönlich den mittlerweile im Gefängnis sitzenden Ex-Wirecard-Chef Markus Braun getroffen. Dies sei aber unspektakulär gewesen, so Kukies. Er habe nichts neues gelernt, über das umstrittene Drittpartnergeschäft, das im Mittelpunkt des Wirecard-Skandals steht. Erst im April 2020 seien die Zweifel durch den KPMG-Sonderbericht bestätigt worden, womit das ganze Geschäftsmodell in Zweifel stand. Nach der Insolvenz wurden laut Kukies alle Optionen geprüft, auch eine Rettung von Wirecard. Es seien aber keine entsprechenden Schritte unternommen worden.

Wirecard AG

WKN 747206 ISIN DE0007472060