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Habecks Hoffnung hoch im Norden - Grüner Zement mit CCS

06.01.2023
um 14:17 Uhr

- von Markus Wacket

Brevik (Reuters) - Mit ihren Langschiffen brachten die Wikinger einst Tod und Verderben an die Küsten Europas.

Jetzt sollen sie Hoffnung transportieren für die Staaten südlich von Norwegen - und vor allem für Deutschland. Mit dem Projekt "Langskip" wollen die Norweger das Treibhausgas CO2 vom Kontinent einsammeln und es per Schiff an ihren Küsten entladen. Von da soll es per Pipeline auf die Nordsee gepumpt und dann 2500 Meter unterm Meeresboden ins Sandgestein gepresst werden - und für immer dort bleiben. Dafür muss das CO2 zuvor etwa von Hochöfen oder Chemiefabriken zunächst aufgefangen werden. Diese CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) war in Deutschland so umstritten, dass sie bisher verboten ist. Wirtschaftsminister Robert Habeck will das ändern und reist daher durch das verschneite Norwegen bis nach Brevik. Dort soll als Teil von "Langskip" ein Zementwerk sein CO2 weltweit erstmals im industriellen Maßstab abscheiden.

Der deutsche Konzern HeidelbergMaterials entwickelte die Idee, solch ein Projekt an der Küste Norwegens mit seiner Tochter Norcem umzusetzen. In Deutschland waren vor zehn Jahren alle Versuche der Bundesregierung gescheitert, zumindest zu Testzwecken solche Anlagen in Deutschland möglich zu machen. Bürgerinitiativen und Umweltverbände liefen Sturm und trauten der Technik nicht, die zudem den klimafreundlichen Umbau der Gesellschaft behindere. Mit ganz vorne beim Widerstand: Die Grünen.

Auch deshalb steht Habeck in Brevik im Schneetreiben und lässt sich das Vorhaben erklären. In zwei Jahren soll das Werk fast seinen gesamten CO2-Ausstoß abfangen können. Ein technisch kompliziertes und teures Verfahren. Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral sein und die Industrie behalten will, argumentiert Habeck aber, dann führe an CCS kein Weg vorbei. "Wir haben soviel Zeit verplempert, dass wir diese Entscheidung klar treffen müssen: Wir nehmen das was verfügbar ist." Und: "Lieber das CO2 in die Erde als in die Atmosphäre."

GRUNDSTOFFINDUSTRIE MIT GRÖSSTEM PROBLEM BEIM KLIMASCHUTZ

Während bei der Stromversorgung oder im Verkehr fast alles künftig auf erneuerbare Energie umgestellt werden kann, ist die in der Industrie so nicht möglich. Stahl- und Chemiebranche können vielleicht eines Tage großteils mit Wasserstoff arbeiten, der mit Hilfe von Wind- oder Sonnenenergie erzeugt wurde. In der Grundstoffindustrie nimmt die Zementbranche jedoch noch eine Sonderrolle ein, ganz ohne fossile Brennstoffe und damit CO2 wird es nicht gehen. Beim Projekt Brevik ist vorgesehen, dass rund die Hälfte des CO2 abgefangen wird, etwa 400.000 Tonnen im Jahr. Weiteres Gas könnte direkt etwa in Baustoffen wieder für immer gebunden werden.

Das ist teuer. "Vor allen Dingen die Investitionen in die neue Anlagentechnik sind sehr hoch", erklärt ein Sprecher von HeidelbergMaterials. "Sie liegen allein für die Abscheidung von CO2 im Zementwerk bei mehr als dem Doppelten einer vergleichbaren konventionellen Anlage." Für Brevik allein sind das Kosten von 400 Millionen Euro. 85 Prozent davon übernimmt der norwegische Staat. Auch bei der Weiterentwicklung der Speichertechnik wird mit einem ähnlichen Anteil und Milliarden-Subventionen geholfen. Denn Norwegen will nicht nur selbst klimafreundlicher werden. Es will auch zum Exportland der Technik werden. Und vor allem später sich mit "Langskip" für die Einlagerung von CO2 gut bezahlen lassen.

Habeck wiederum will in diesem Jahr die CCS-Technik zumindest rechtlich in Deutschland möglich machen. Trotz Bedenken nicht nur bei Organisationen wie Greenpeace sondern auch im Umweltministerium von Parteifreundin Steffi Lemke. Er setzt darauf, dass die Technik in zahlreichen Studien als sicher gilt, kein CO2 aus dem Meeresboden entweicht und nicht als Vorwand gilt, etwa auch Kohlekraftwerke mit CCS weiter laufenzulassen. Und er sieht hier im Norden ein Vorbild: "Norwegen gibt mir eine gewisse Zuversicht und Perspektive, dass das eine sichere, nutzbare Technik sein kann."

(Mitarbeit: Ilona Wissenbach; redigiert von Kerstin Dörr Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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