Reuters

ANALYSE-Was das Jamaika-Aus für die deutsche Klimapolitik heißt

22.11.2017
um 11:56 Uhr

- von Markus Wacket

Berlin (Reuters) - Die Reaktion an der Börse auf das Platzen der Jamaika-Gespräche war mäßig, in einem Punkt aber eindeutig: Die Aktien des Kohlekonzerns RWE legten zu und die des Windrad-Herstellers Nordex sackten ab.

Dabei hatten Union, FDP und Grüne das Konfliktthema schon weitgehend entschärft: Sieben Gigawatt Kohlekraft - was etwa 14 größeren Meilern entspricht - sollten bis 2020 vom Netz. Damit sollte das Klimaziel erreicht werden, das bis dahin eine Kohlendioxid-Verringerung um 40 Prozent gegenüber 1990 vorsah. Parallel sollte der Windenergie-Ausbau beschleunigt werden. Gerade für das Ziel für 2020 läuft die Zeit davon. Zumal der Kohleverzicht höchstens die Hälfte der Einsparungen gebracht hätte. Klimaschutz wird nun wieder zum Kampfthema zwischen den Parteien: Die Grünen wollten noch am Dienstag einen Antrag zum Kohleausstieg in den Bundestag einbringen.

Dieser soll in den Hauptausschuss des Parlaments überwiesen werden und wird dort wohl wie fast alle Initiativen lange schmoren. Denn nach allem, was sich jetzt abzeichnet, wird sich dies frühestens nach Neuwahlen ändern. Eine Regierungsbildung könnte sich bis Mitte 2018 hinziehen. Für Kraftwerksbetreiber wie RWE oder Uniper hätte dies den Effekt, dass bis dahin kein Beschluss zum Abschalten älterer und schon abgeschriebener Kraftwerke fallen kann. Jeder zusätzliche Tag ist bares Geld. "Die Verzögerung ist für das Erreichen des deutschen Klimaschutzziels natürlich nicht hilfreich", sagt auch Patrick Graichen, Chef der Denkfabrik Agora Energiewende. Aber wenn man wolle, könne man immer noch bis 2020 die ältesten und schmutzigsten Braunkohlekraftwerke stilllegen.

Denn mit einem Angriff auf die Kohle, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, muss in fast jeder Konstellation gerechnet werden. Auch SPD oder Linke dringen auf das Aus für alte Meiler. Der Vorschlag zum Abschalten der sieben Gigawatt kam von der Union. Graichen befürchtet aber, dass spätere Beschlüsse die Politik in Verhandlungen mit den Versorgern unter Druck setzen wird: "Je länger es dauert, desto größer wird allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass Entschädigungen für die Stilllegungen gezahlt werden müssen."

VERKEHRSWENDE LÄSST AUF SICH WARTEN

Für das Klimaziel 2020 wird es also nicht nur äußerst knapp. Es kann für Deutschland auch teuer werden. Selbst wenn sich einige Kohlekraftwerke kurzfristig abschalten lassen, muss der andere Teil der Einsparungen von Verkehr, Gebäuden oder der Industrie kommen. Auch hier waren sich die Verhandlungspartner schon nahegekommen, etwa durch eine Erhöhung der Kaufprämie für Elektroautos oder Steuervorteilen für die Dämmung von Gebäuden.

Doch hier fehlen nicht nur die Beschlüsse. Gravierender ist, dass Hausbesitzer oder potenzielle Autokäufer vermutlich gar nichts tun und abwarten, was eine neue Regierung anbietet - wie immer sie auch aussieht, wann immer sie auch steht. "Dieser Attentismus ist das größte Problem", sagt ein Vertreter eines großen deutschen Industrieverbandes. Insgesamt herrscht dort eine gewisse Erleichterung, dass strenge Vorschriften zunächst abgewendet wurden. In einer Regierung ohne die Grünen dürften solche zumindest milder ausfallen.

KLIMAZIEL 2030 TEIL DER ZUSAGEN VON PARIS

Allerdings wird der Druck in Deutschland hoch bleiben: Schon die vorige Regierung hat sich mit Blick auf 2030 klare Ziele gesetzt - und zwar heruntergebrochen auf eine einzelne Sektoren wie Industrie, Kraftwerke, Verkehr oder Gebäude. 55 Prozent CO2 muss bis 2030 unterm Strich gegenüber 1990 gespart werden. Und Deutschlands CO2-Ausstoß ist in den vergangenen Jahren praktisch nicht mehr gesunken. Während das Klimaziel 2020 als nationale Vorgabe international nicht verpflichtend ist, muss die Vorgabe für 2030 erfüllt werden. Das deutsche Ziel ist Teil der Zusagen der EU zum Weltklimavertrag von Paris.

EnBW Energie Baden-Württemberg AG

WKN 522000 ISIN DE0005220008

Nordex SE

WKN A0D655 ISIN DE000A0D6554

RWE AG

WKN 703712 ISIN DE0007037129